Apr 29 2021

„Frei sein wird jedes Herz und Gehirn“ – David Edelstadt ( 9.Mai 1866) und die Sweatshopdichter

https://archive.org/details/DavidEdelstadtUndDieSweatshopdichter

(Die Radiosendung zum Text)

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über die Arbeit und Mühe eines anderen,
Frei wird sein jedes Herz und Gehirn,
Das ist Anarchie
Eine Welt in der Freiheit jeden beglückt,
den Schwachen den Starken „ihn“ und „sie“
wo „deins“ und „meins“ keinen unterdrücken wird
Das ist Anarchie

(David Edelstadt)

Mit 12 Jahren schrieb David Edelstadt seine ersten Gedichte. Geboren in Kaluka, im Westen Russlands, lernte er Schreiben und Lesen als „Kantonist“ bei der russischen Armee. Ein Dekret des Zaren verpflichtete alle männlichen Kinder von Militärangehörigen von 12 – 25 Jahren in spezielle Kantonschulen, später „Garnisonsschulen“ genannt.

Diente die verstärkte Verpflichtung der männlichen Juden offiziell als „Integration“, war sie in Wirklichkeit eine mit Zwang und Gewalt ausgeübte „Aushebung“ und brachte ihnen nicht mehr Rechte als zuvor.
Zu dieser Zeit, 1878, war der Hass gegen die jüdische Bevölkerung wieder gestiegen. Eine slawophile Bewegung, der u.a. auch Dostojewski angehörte, kramte als Propaganda wieder eine „Ritualmord“ Legende hervor und behauptete weiterhin, dass die Juden fremde Eindringlinge seien, die das russische Leben zersetzen wollten. Vor allem zwischen 1881 und 1882 geschah eine Vielzahl von Pogromen.

„Wir werden gehasst und getrieben
Wir werden geplagt und verfolgt
Und alles nur, weil wir das
arme schmachtende Volk lieben

Wir werden erschossen, gehangen,
Man nimmt uns das Leben und das Recht
Und nur, weil wir die Wahrheit verlangen
Und Freiheit für den armen Knecht…. „

Nachdem David einem Pogrom in Kiew entkommen konnte, wanderte er 1882 nach New York aus, wo er sich der ersten jüdisch-anarchistischen Gruppe „ Pioniere der Freiheit“ anschloss. Diese Gruppe, literarisch und rednerisch herausragend, machten in dem vorwiegend jüdischen Teil von New York, der Lower East Side, ne Menge Dampf.

So unterstützen sie vehement die angeklagten Haymarketanarchisten in Chicago und verbreiteten Propaganda unter den immer zahlreicher werdenden jüdischen Emigranten. Diese Propagandaarbeit führte zu weiteren Gründungen anarchistischer Gruppen, unter anderem in Boston und Philadelphia, wo David Edelstadt und andere von den „Pionieren“ zu Vorträgen reisten.

Die „Pioniere der Freiheit“ brachten 1889 ihre erste Zeitung heraus, die „ Wahrheit“, in denen David Gedichte in jiddisch veröffentlichte und sie bei den wöchentlichen Vorträgen und Diskussionen vorlas.
Nach „Die Wahrheit“ erschien kurzzeitig der „Morgenstern“ – daraus entstand die „Freie Arbeiterstimme“. David wurde Mitarbeiter, danach Chefredakteur.

Die „Freie Arbeiterstimme“ erschien 1890 zum ersten Mal. Der Titel wurde sowohl in Jiddisch als auch in Deutsch und Englisch auf dem Titelblatt vermerkt. Erst 1977 wurde sie eingestellt.

„http://youtu.be/vXlzdwGJ7OA“>(4teiliges Filmdokument zur „Freien Arbeiterstimme“ – englischsprachig)

David Edelstadt gehörte mit Morris RosenfeldMorris Winchevsky und Joseph Bovshover zu den „Sweatshopdichtern“, die als die erste Schule der jiddischen Poesie bezeichnet wird und deren Gedichte, in Musik gesetzt, bei Kundgebungen jüdischer Arbeiter*innen gesungen wurden

„Sweatshops“ im englischen Sprachgebrauch für „Ausbeuterbetriebe“ sind exakt das, was der Name sagt. Fabrikarbeit mit sehr geringem Lohn und miesen Arbeitsbedingungen . Die „Sweatshopdichter“ arbeiteten damals mit vielen anderen 12 Stunden und mehr in Schneiderbetrieben, David dabei als Knopflochmacher.

…..No seltn, seltn se ich ihm,
Majn Schejnem, wenn er wacht.
Ich tref im imer schlofndik,
Ich se im nor bajnacht.
Di Arbet trajbt mich fri arojss,
Un lost mich schpet zurik.
Oj fremd is mir majn eign Lajb,
Oj, fremd, majn Kind’s a Blik.
…….
(Morris Rosenfeld: Mein Jingele)

Heute finden wir solche Fabriken in Asien und als „Maquiladoras“ genannte Betriebe in Lateinamerika, vor allem in Mexico.

 (Morris Rosenfeld)

„http://youtu.be/Er76inuWZS8″>

(Mein Ruheplatz)
Don‘t look for me where myrtles are green.
You will not find me there, my beloved.
Where lives wither at the machines,
There is my resting place.

Don‘t look for me where birds sing.
You will not find me there, my beloved.
I am a slave where chains ring,
There is my resting place.

Don‘t look for me where fountains spray.
You will not find me there, my beloved.
Where tears flow and teeth gnash,
There is my resting place.

And if you love me with true love,
So come to me, my good beloved,
And cheer my gloomy heart
And make sweet my resting place.

In ihren Gedichten drückten sie ihre Solidarität mit anderen Arbeitenden und den Wunsch nach revolutionärer Veränderung aus, wie z.b. in „Revolution“ von Joseph Boshhover

„http://www.dickgaughan.co.uk/songs/mp3s/revolution.mp3″> (Interpret: Dick Gaughan)

Ein weit verbreitetes und beliebtes Lied war „Im Kampf“ von David Edelstadt und wurde neben seinem anderen Lied „Arbeiterinnen“ in den Streikbewegungen des zaristischen Russlands gesungen

Shmidt undz in ayzerne keytn,
Vi blutike khayes undz rayst;
Ir kent undzer kerper nor teytn
Nor keyn mol undzer heylikn gayst.

David erkrankte bald darauf an Tuberkulose und musste seinen Arbeitsplatz aufgeben. Am 17.Oktober 1892 starb er im Alter von 26 Jahren.

Die „Freie Arbeiterstimme“ schrieb über ihn: „ David Edelstadt war ein feiner, idealistischer Mensch, ein geistiger Sturmvogel, dessen Lieder der Revolte von jedem jiddisch sprechenden Radikalen geliebt wurde. „

Ir kent undz dermordn, tiranen,
naye kemfer vet brengen di tsayt;
Un mir kemfn, mir kemfn biz vanen
Di gantse velt vet vern bafrayt.

(David Edelstadt: Im Kamf)

„http://youtu.be/OkIe5D0bM74″> (Eine Version von „Im Kamf“ — leider in anderen Versionen mit Leninportraits regelrecht „missbraucht“)


Feb 26 2021

Amazon auf den Mond .. nicht nach Schwerin (und anderswo)

Der ECommerce Gigant Amazon will an insgesamt vier Standorte in Mecklenburg-Vorpommern … dabei auch in Schwerin. Im Februar stimmte der Hauptausschuss der Schweriner Stadtverwaltung in einer üblichen nichtöffentlichen Sitzung dem Verkauf eines passendes Geländes für Amazon zu…in Betriebnahme ist 2022 geplant… hier die 4 „Flugblätter“, die von der Initiative „Amazon auf den Mond..“ erstellt, veröffentlicht, verklebt und verteilt wurden …

 


Feb 26 2021

Wenn mein Lied so traurig klingt … zur Hinrichtung von Salvador Puig Antic – 2. März 1974 !

Ich will mich nicht fürchten
nicht morgen und nicht heute
auch nicht in der Erinnerung
was ich mag ist das Lächeln eines Kindes am Meer
und ihre Augen wie ein Strauss ausbrechender Freude

und wenn ich ein trauriges Lied singe
dann deshalb, weil ich die Angst nicht aus meinen armen Augen auslöschen kann

Ich kann dem Tod nichts abgewinnen
Noch seinem so eisigen Gang
Ich mag ihn heute nicht
Und auch nicht als Erinnerung.

 

 

Was mir gefällt ist
das Pochen dieses Herzens, welches
kämpfend,
das Leben dem Tod darbietet,
denen, die ihn verurteilt haben

und wenn ich so traurig klinge
dann deshalb, weil ich nicht vergessen kann
das sein Tod von den Genossen so ignoriert wird.

Ich will nicht mein Lied singen
Weil ich weiss, daß „Sie“ so viele zum Schweigen gebracht haben
So viele Münder, so viel Geschrei
Die Wahrheit sagend
Deshalb will ich das Lied der einfachen Leute(Leute auf der Strasse)
Mit der Kraft der Worte
im Grunde (Recht)verwurzelt.

Und wenn ich so traurig singe dann deshalb

weil die Furcht nicht aus meinen traurigen Augen verschwindet

***

(Aus dem Katalanischen von stoergeraeusch schwerin)

 

„……Nach ersten Schritten in den illegalen Comisiones Obreras (betriebsgewerkschaftliche Arbeiterkommissionen; zunächst noch moskautreu, ab 1960 reformistisch) leistet er noch seinen Militärdienst als Sanitäter auf Ibiza ab. Doch bald danach gründet er mit gleichgesinnten Anarchisten und linksrevolutionären Kommunisten die iberische Befreiungsbewegung MIL (Movimiento Iberico de Liberation – MIL steht aber auch für Tausend). Diese versteht sich nicht so sehr als revolutionäre Avantgarde sondern vielmehr als Unterstützerin der Arbeiterkämpfe und Streiks, wobei sowohl hierarchische Gesellschaftsstrukturen als auch der gerade in Spanien tief verwurzelte gewerkschaftliche Kampf grundsätzlich kritisch hinterfragt werden. In ihren Verlautbarungen sticht die MIL gegenüber anderen spanischen Untergrundgruppierungen durch Ironie und Humor hervor.

Die Reisen führen auch nach Südfrankreich, wo die MILs sich mit alten Revolutionären der exilierten anarchosyndikalistischen CNT treffen. Als jedoch bei einem Banküberfall einiges aus dem Ruder läuft und ein Bankangestellter erblindet, beschließt die Gruppe kurzerhand sich aufzulösen. Als Anfang 1973 Antichs Mutter stirbt, taucht dieser bedenkenlos aus der Illegalität auf und kümmert sich um seine Familie. Gerade in dieser Phase werden nach einer konzertierten Polizeiaktion drei Aktivisten der MIL gefangen genommen, einer davon verrät nach schweren Folterungen die geheimen Treffpunkte der Gruppe. Der Rest ist polizeiliche Routinearbeit, die Aktion am 25. September 1973 verläuft allerdings nicht nach Plan. Der Subinspector der Guardia Civil, Anguas Barragán, erleidet fünf Durchschüsse und stirbt. Salvador Puig Antich kommt mit einer schweren Verwundung davon.

Eindeutige Indizien weisen darauf hin, dass die tödlichen Schüsse nicht aus Antichs Waffe stammen können. Die Anklage wird jedoch genau in diese Richtung konstruiert. Beweismittel werden unterdrückt, entlastendes Material unterschlagen. Am Jahresende wird Francos Rechte Hand und Graue Eminenz des Franquismus, der Admiral Luis Carrero Blanco, nach dem Besuch einer Morgenmesse samt seinem Auto durch die Wucht der Explosion einer ETA-Bombe über ein fünfstöckiges Haus ins sichere Karriere-Aus geschleudert und stirbt an Ort und Stelle. Das Attentat findet wenige Minuten vor Prozessbeginn gegen zehn Aktivisten der Comisiones Obreras statt … Antich weiß, dass spätestens jetzt an seiner Todesstrafe nicht gerüttelt werden kann. Mit ETA m`ha matat (die ETA hat mich umgebracht) kommentiert er kurz die Auswirkungen dieser Tat auf seine eigene Situation.

Und so wird auch am 7. Jänner 1974 der 25-jährige Salvador Puig Antich wegen Mordes an einem Guardia Civil Beamten durch ein Militärgericht der Franco-Diktatur zum Tode durch die mittelalterliche Hinrichtungsmethode der Garrote verurteilt…. “   

 

 

 


Jan 27 2021

Die verachteten Opfer

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Nicht nur zum Gedenken am 27.Januar

Schwarzer Winkel ( und Co.)

– Eine Einführung –

von stoergeräusch schwerin (w.h.)

Früher als im Rest des Landes gelangten die Nationalsozialisten 1932 in Mecklenburg-Schwerin an die Macht. Als äusseres Zeichen wurde dann der Platz vor dem Justizgebäude — bis da: Königsbreite – zuerst in Adolf Hitler dann in Blücherplatz umbenannt. Die Nazis veränderten aber auch den Charakter des Justizwesens. Eine der Einrichtungen waren die Sondergerichte, die im Laufe der Herrschaft ihre Befugnisse weiter ausbaute mit z.B. Verordnungen gegen „Volksschädlinge“….dieser Begriff ersetzte die Bezeichnung“asozial“, die bis dahin das Denken in Deutschland prägte

Die Bezeichnung „asozial“ war und ist die übliche Bezeichnung für die als „minderwertig“ eingestuften Menschen, die nach Ansicht der tonangebenden Gesellschaftsschichten nicht oder nur ungenügend arbeiten oder unangepasst leben – scheinbar unfähig zur Eingliederung.

Der Tod ist ein Meister aus Deutschland

Gemäß einem Grunderlass zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung vom Dezember 1937 konnten die „Asozialen“ im Rahmen dieser Prävention in ein Konzentrationslager eingeliefert werden. Durch die Aktion“ Arbeitsscheu Reich“ kam es 1938 zu Massendeportationen, oft mit tatkräftiger Unterstützung der Arbeits- und Fürsorgeämter.

Als „Asozial“ galten u.a. : Bettler, Körperbehinderte, Denunziantenopfer, Wohnungs- und Obdachlose, Aufsässige, Wanderarbeiter, Legastheniker, Roma und Sinti, weibliche Homosexuelle, Waisen, Prostituierte, Zwangsprostituierte, Frauen mit wechselnden sexuellen Kontakten, Kleinkriminelle, ständige Nörgler, Menschen, die Armen oder gar KZ-Häftlingen halfen, Anarchisten, Gehörlose, Analphabeten, so genannte Arbeitsscheue, Bummelanten, Faule, Autisten, Stotterer, nicht „Reinrassige“, Volksschädlinge, Volksverräter usw.usw.

Stacheldraht – mit Tod geladen

Die so als „Asoziale“ Verschleppten wurden mit einem „Schwarzen Winkel“ auf der Häftlingskleidung markiert. Diese KZ-Insassen standen zusammen mit den männlichen Homosexuellen und den jüdischen Gefangenen am untersten Ende der Häftlingshierarchie.
Durch dieses System (der Kennzeichnung) waren die Gefangenen zum einen besser kontrollierbar, zum anderen wurde mit der Vergünstigung , einen anderen Winkel zu erhalten, KZ-Häftlinge zu Denunzianten und Spitzel angeworben

Auch – aber nicht nur in den genannten untersten Kategorien gab es dokumentierte Versuche interner Aufstiege.

Aber es waren nicht die Nazis, die das Wort „Asozial“ geprägt hatten.

Links zwei, drei ..“

Schon zuvor bei Sozialdemokraten und Kommunisten war die Arbeit heilig. Der Sinn der jeweiligen Arbeit wurde nicht hinterfragt. Vielleicht irgendwann im Paradies, aber auf Erden gings allein um Lohnerhöhungen und Arbeitszeiten

Nur die AnarchistInnen waren es, die dem von Marx/Engels geprägten Begriff der „Entfremdung der Arbeit“ nachgingen und im Diesseits zum Programm machten. Mit dem Niederkämpfen durch Unternehmer und Sozialisten verschwanden diese Fragen mehr und mehr aus der Arbeiterbewegung und die Arbeit wurde zur Ideologie. Wollte dann doch einer nicht arbeiten, so galt er bei den Kommunisten und Sozialisten als „asozial“, ja, die Kommunisten prägten das Wort „Lumpenproletariat“

Wer wirklich will, findet auch Arbeit“ diese heute ach so vertraute Aussage fand sich auch in den Gedanken und Aussagen der kommunistischen Arbeiterbewegung. Arbeit wurde mehr und mehr idealisiert.
Die so genannten „Helden der Arbeit“ dienten als Ansporn und Vorbild – kräftige Männer mit Hammer und Blick in die Zukunft gerichtet, an ihrer Seite die tüchtige Frau mit Sichel und Kopftuch. Selbst Schwerstarbeit wurde verklärt.

Menschen, die sich diesem entzogen, galten als „gemeinschaftsschädigend“, als „asoziale Schmarotzer“.

Die deutschen Faschisten ihrerseits mochten das Wort „Asozial“ nicht und versuchten es durch andere Begriffe zu ersetzen. Aus „Asozialen“ wurden so „Volksschädlinge“, die es zu vernichten galt –

Vernichtung durch Arbeit

– Begriff der im Nazi-Lager-System geprägt wurde. Gemeint ist die planmässige Tötung von Zwangsarbeitern oder Häftlingen durch Schwerstarbeit und mangelhafte Versorgung , oft 12 bis 16 Stunden Arbeit mit ungenügender medizinischer Versorgung, mit Folter und Misshandlungen bis hin zur direkten Ermordung.“

Der Einfluss der sogenannten Asozialen auf das Lagergeschehen war äusserst gering. Weder wurden sie von anderen Häftlingsgruppen unterstützt, noch entwickelten sie selber eigene Formen der Organisierung. In den Erinnerungen der anderen Überlebenden waren die vom „Schwarzen Winkel“ nur verachtet. Erst einmal in ein KZ eingewiesen, blieb ihnen nicht einmal die Hoffnung auf eine bessere Zukunft im Diesseits oder im Jenseits. Vor allem von den “Politischen“ wurden sie vehement abgelehnt. Hatten die „Politischen“ ihre Partei oder „ihre“ andere Welt als Hoffnung, so blieben die Asozialen nach Meinung der anderen nichts als ihr eigenes, von den Nazis als minderwertig eingestuftes selbstverschuldetes Leben.

Wir erinnern uns: als „Asoziale“ galten auch die, die nicht ordentlich gekleidet waren, oder weder die Nazi- noch die KPDZeitungen abonniert hatten, Jugendliche, die sich weigerten, der HJ beizutreten –also alle und jene, die den von den Nazis aufgestellten Normen nicht entsprachen.

Die Häftlinge mit dem „Schwarzen Winkel“ erlebten die gleiche gesellschaftliche Isolation und Diskriminierung wie in der Zeit zuvor und sollte sie bis in die heutige Zeit verfolgen.
In den Lagern wurden sie nicht als LeidensgenossInnen gesehen, sondern nur als Bedrohung.

Leichtes Spiel für die Nazis. Deren Ziel – die endgültige Beseitigung abweichenden Verhaltens.

Bildergebnis für schwarzer winkel

Männer sind sich alle gleich … „

Ein besonders grausames Schicksal – die Frauen mit dem „Schwarzen Winkel“. Zu ihnen zählten nicht nur homosexuelle Frauen oder Prostituierte, sondern auch Zwangsprostituierte. 33 000 Frauen wurden in den Bordellen der SS, der Wehrmacht und in den Lagerbordellen der KZs zu Zwangsprostituierten.
Viele dieser Frauen wurden nach sechs Monaten „Einsatz“ als „Geheimnisträgerinnen“ sofort ermordet. Die anderen kamen danach in einen Sonderbau des KZ Ravensbrück.

Ein gesonderte Gruppe der „Asozialen“ bildeten die Sinti und Roma. Sie wurden in so genannten „Familienlagern“ innerhalb der KZs in abgesonderten Blöcken untergebracht , häufig dem Prügeln und Foltern auch durch Lagerinsassen ausgeliefert. Alle Roma und Sinti erhielten bei ihrer Einlieferung in die Lager eine Häftlingsnummer in den Arm eintätowiert –damit waren sie ausnahmslos für die spätere Ermordung vorgesehen.

Nach der Befreiung aus den Konzentrationslagern 1945 betrug der Anteil der Häftlinge mit dem „Schwarzen Winkel“ je nach Lager etwa 10 bis 20 %. Danach hat sich keiner/keine ernsthaft um das Schicksal dieser Verfolgten gekümmert. Erst 1987 wurde sich einem Teil dieser Vergessenen wieder erinnert – hier der Roma und Sinti, den männlichen Homosexuellen (Inzwischen auch den Deserteuren und aktuell den weiblichen Homosexuellen- )

Alle anderen als „Asozial“ verfolgten Menschen werden heute weitestgehend „vergessen“(oder verdrängt) und/oder dienen weiterhin als das Negative, Abwertende, Diskriminierende in der Gesellschaft.

Zurück nach Schwerin: „…Um die „Reinigung des Volkskörpers“ von innen heraus voran zu treiben, ließ das Erbgesundheitsgericht am Demmlerplatz in den Heil- und Pflegeanstalten am Sachsen- und Lewenberg „minderwertige“ Menschen zwangssterilisieren. Für derlei Eingriffe standen in Mecklenburg 14 Krankenhäuser zur Verfügung, vier davon in Schwerin. Mehr als 900 Menschen mit geistigen oder körperlichen Behinderungen, psychisch Kranke, Alkoholiker oder so genannte „Asoziale“ wurden in Schwerin durch eine Überdosierung von Veronal, Luminal oder Morphium im Essen oder durch eine Injektion getötet. Unter ihnen befanden sich auch 100 Kinder, die zwischen 1941 und April 1945 unter der Leitung von Dr. Alfred Leu ermordet wurden. ..

+

All diesen gilt es (nicht nur) heute zu gedenken. Ein Gedenken, das hineinragt auch in den aktuellen Alltag … möge das System heute eine andere Struktur haben und sich im alltäglichen öffentlichen Leben neu aufstellen, der „Schoss ist fruchtbar noch, aus dem das alles kroch“ es kleidet sich halt anders …. (s.a. „Unterschichten und Faulenzerdebatte“, „Klassismus“ etc.)

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Weiterführende Links:

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Weiterführende Links:

https://radiochiflada.blogspot.com/2017/12/die-verachteten-opfer-das-schwarze.html

https://radiochiflada.blogspot.com/2017/12/die-vergessenen-lager-teil-2-zu-die.html

http://hartmutstein.com/verbrechen.html


Jan 6 2021

„Die Löwin des Südens“ (Michelina de Cesare) — Arbeiter*innen der Nacht, Teil 2

“ Meglio na buona morte ca na mala vita . “—- Lieber einen gutenTod als ein schlechtes Leben.“

 

    

 (Brigantessas)

Im italienischen Sprachgebrauch wird ganz klar unterschieden zwischen „Briganti“ und „Banditi“.
Banditen waren (und sind) einfach Räuber, die für ihren Eigennutz handeln und vor keine(r) Person dabei halt machen, dabei auch ihre Macht und Einfluss nutzen. So gelten (nicht nur) für die meisten Italiener*innen Politiker generell als Banditen, oder Bosse, die ihnen Bestechungsgelder geben, Millionen hinterziehen, durch Steuervorteile oder durch die Auspressung der Arbeiter*innen.
Sie stehen dabei in der Tradition der lokalen Adligen, der herrschenden Barone des 16.-18.Jahrhunderts.

Die Briganten (brigare = kämpfen, streiten) waren darauf die militante Antwort.

 

 

Am 17. März 1861 konstitutierte sich das Königreich Italien als Ergebnis des so genannten „Risorgimento“, ein Unabhängigkeitskrieg, der vor allem vom Piemont (Königshaus Savoyen)und dem liberalen Bürger*innentum (Bourgeoisie und Adel vorwiegend im Norden Italiens) getragen wurde. Die Briganten, verarmte oder landlose Bauern, Tagelöhner, Hirten und Handwerker, ,die im Süden Italiens schon gegen die Macht und Willkür der Großgrundbesitzer gekämpft hatten, unterstützen in dieser Unabhängigkeitsbewegung vor allem die Truppen Garibaldis in der Hoffnung, daß sich die sozialen Verhältnisse für sie ändern.
Doch schnell war klar, daß die neue Regierung unter Viktor Emmanuel II. noch verstärkter als zuvor lediglich die Interessen der Bourgeoisie und der Grossgrundbesitzer befriedigte. So konnten letztere nicht nur ihre Gebiete behalten, sondern bekamen durch die Privatisierung staatseigener Grundstücke noch einen Batzen dazu. Zwangsrekrutierungen und Steuererhöhungen trieben dazu immer mehr Menschen zu den Briganten. Das Italien, das sie sich durch Garibaldi und Mazzini erhofft hatten, wo die Besatzer vertrieben und soziale Reformen (vor allem eine dringend benötigte Landreform) möglich sind, war für sie ein Italien geworden, daß von den französischen Savoyern (Piemontesen) beherrscht und von Adel und Bourgeoisie durchgesetzt wurde. 
Süditalienischer Autonomismus mischte sich mit Klassenkampf.

Wehe den Mächtigen, wenn die Menschen die Kraft erkennen, die in ihren Händen steckt, wehe den Unterdrückern, wenn die Unterdrückten erfahren, welche Rechte und Pflichten sie haben. “ (Brigant Carmine Crocco)

Einem Klassenkampf, der von den einen in verzweifelten Aufständen von den anderen in unvorstellbarer Barbarei geführt wurde. Tief im Bewusstsein bleiben die Massaker vom 14.August 1861 als von den Regierungstruppen die beiden Dörfer Pontelandolfo und Casalduni dem Erdboden gleichgemacht wurden, als eine Bestrafungsaktion für 45 Soldaten, die bei der Niederschlagung eines Aufstandes getötet wurden.
Zuerst entlud sich der Zorn der Truppen auf das Dorf Pontelandolfo, egal ob die Bewohner*innen am Aufstand teilgenommen hatten oder nicht – erschlugen, erstachen, vergewaltigten, erschossen, verbrannten innerhalb weniger Stunden Tausende der Einwohner*innen, die Häuser ausgeplündert und niedergebrannt. Es hatte den Charakter einer Strafaktion, wie Kolonialmächte sie durchzuführen pflegen,wenn ihnen der Gehorsam verweigert, wenn ihnen Widerstand entgegengebracht wird.

 

 

1863 wurden Aktionen wie die beiden Massaker Gesetz. Mit dem „Pica “ Erlass konnten nun auch Familienangehörige von gesuchten Briganten bestraft werden oder blosse Verdächtige.
Massenerschiessungen und Abbrennen von Dörfern waren nun tägliche Praxis. Historiker*innen sprechen von etwa 14 000 ermordeten Brigant*innen bzw. angeblichen Brigant*innen.

Die italienische Nation baute sich auf Tribunale, Razzien, Deportationen , Konzentrationslager und Hinrichtungen auf.

Die Briganten kamen nicht nur aus den Dörfern des Südens, sie wurden auch von dort unterstützt. Die einzelnen Familien halfen nach besten Kräften, Denunziationen fand so gut wie nie statt.(Die wenigen waren um so folgereicher, dazu später). Es gab hier keinen Mittelstand, kaum Geschäftsleute, nur ein Oben und Unten.So etwas wie „wissenschaftliches“ Klassenbewusstsein gab es allenfalls bei einigen Brigantenführern, alle handelten aus einer persönlichen direkten Situation heraus – ohne Land ohne Arbeit – und einem Gefühl der sozialen Ungerechtigkeit.

Besonders hart traf es die jungen Frauen. Hatten sie Arbeit, wurden sie um ein vielfaches schlechter bezahlt. Uneheliche Schwangerschaften wurden bestraft. Oft mussten dabei die jungen Frauen ihren mageren Besitz den Gerichten geben und wurden polizeilich des Dorfes verwiesen. So gingen viele von ihnen zu den Brigantengruppen, wurden eine „Brigantessa
In der offiziellen italienischen Geschichte tauchen sie nur als Liebhaberinnen der Bandenführer oder als Teil der Familie auf wie es auch mit den kämpfenden Frauen in der Mexikanischen Revolution und anderswo geschah. Dabei können wir durchaus von einer gleichberechtigten Rolle in den einzelnen Gruppen sprechen. Sie waren wie die Männer gekleidet und wie die Männer bewaffnet. Angebliche Frauendienste wurden oft auch oder nur von den Männern erledigt.

Die wohl bekannteste war Michelina de Cesare. Am 28.Oktober 1841 in Caspoli(Region Kampanien) in eine dieser zahllosen ärmlichen Haushalte geboren, wurde sie früh durch Diebstähle „aktenkundig“.
1861 schloss sie sich einer Brigantengruppe um
 Francesco Guerra an, bekommt bald eine eigene Waffe und wird eine der führenden und schillernden Figuren in der Gegend um Kampanien. Ihre Gruppe bestand aus 20 Briganten, dabei zwei Frauen , die oft mit drei oder vier Leuten Guerrillaktionen gegen die lokale Bourgeoisie, aber auch gegen Polizei und Militär durchführten. Raubüberfälle, Diebstähle und Entführungen gehörten dazu wie Sabotageakte, die Michelina oft auch mit ihrem Bruder durchführte.

 

 

Michelina wird mehr und mehr zu einer lebenden Legende – gern lässt sie sich in ihrem Versteck fotografieren, posiert in der traditionellen Tracht einer Bäuerin, mit einem Gewehr bewaffnet. Richtig berühmt wurde sie, als es ihr gelingt, das von Carabinieri besetzte Dorf Galluccio durch einen einfachen Trick zu erobern. Die Gruppe – als Soldaten verkleidet – täuscht einen Gefangenentransport vor.
Sieben Jahre lang kämpft ihre Gruppe gegen lokalen Adel, staatliche Ordnung und Obrigkeit.
Die Carabinieri hassen sie – und suchen sie.
Durch einen Informanten gelingt es ihnen, den Ort des nächsten Aufstandes zu lokalisieren.

Am 30.August 1868 versammelt sich eine Gruppe von Carabinieri und Nationalgardisten an den Hängen des Monte Lungo, in der Nähe des Ortes Mignano. Unter den Blitzen eines starken Gewitters erkannten sie die Rebell*innen, gegen zehn Uhr nachts überfielen sie dann das ahnungslose Lager und massakrierten fast alle Aufständischen.
Mit Michelina hatten sie noch was anderes vor. Sie wird gefoltert, massenvergewaltigt, dann erschossen. Ihre nackte und verstümmelte Leiche wird im nahegelegenen Dorf als Warnung ausgestellt. Doch der beabsichtigte Effekt – Einschüchterung und Abschreckung – trat nicht ein.
Die Umstände ihrer Ermordung und die in Umlauf gebrachten Fotos von ihrem Körper mobilisierten noch mehr Menschen, sich den Brigantengruppen anzuschliessen.

Michelina de Cesare wurde in ihrem Leben 27 Jahre alt aber bleibt im Bewusstsein der Menschen des „Mezzogiorno“ unsterblich.

 

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Video: „Das Lächeln der Michaela“  …

 

 

 


Jan 4 2021

Die Arbeiter*innen der Nacht …. 1. Matthias Kneißl

„Ich kann mich nicht beugen „

Die „Arbeiter der Nacht“ nannte sich eine Gruppe um Alexandre Marius Jacob, die zwischen 1901 – 1903 wohl an die 1000 Einbrüche tätigten … beim Adel, Vertreter*innen der Industrie, Ausbeutern … finanziert wurden sozialrevolutionäre Organisationen , Arbeiter und ihre Familien…ein Teil wurde für weitere Aktionen gebraucht

https://syndikalismus.wordpress.com/2011/11/25/eure-brieftaschen-genugen-nicht-mehr/   (Radio Chiflado zu Alexandre Marius Jacob)

Arbeiter*innen der Nacht“ nennen wir deshalb unsere Serie von Frauen und Männern, die für die Herrschenden Banditen, Kriminelle, Räuber*innen waren — für die Beherrschten und Unterdrückten, die Armen und Ausgegrenzten aber oft zu sozialen Rebell*innen mystifiziert wurden und gefeiert, weil sie „zurückholten, was von einigen wenigen angeeignet worden war“ – und diesen damit den (sozialen) Krieg erklärten.
Es sind Frauen und Männer verschiedener Zeiten und Kontinente – wie Johann Breitweiser aus Österreich, Anny Bonny und Mary Read als Piratinnen gegen die großen Handelsflotten (und patriarchalischen Denkweisen) oder auch Michelina de Cesare als Brigantin in einem „Krieg der Armen“ gegen den sich bildenden Nationalstaat Italien.

Beginnen wollen wir aber mit Mathias Kneißl

 

Die Zeit und der Ort, in denen Matthias Kneißl am 12.Mai 1875 in einem Dorf im bayerischen Glonntal hineingeboren wurde, waren eine Welt der Umbrüche und des brutalen Kampfes um die tägliche Existenz. In dieser Zeit begann auch im Königreich Bayern die Industrialisierung, viele Tagelöhner strömten in die Städte, vor allem nach München.
Aber Bayern war auch ein Land, wo das Militärische in hohem Ansehen stand. Wer fürs Vaterland und den König getötet und gedient hatte, war hoch angesehen und hatte ausgesorgt. So trugen sie alle voller Stolz und Brutalität auch im Alltag ihre Uniformen: der Postbote, der Eisenbahner usw.
Der letzte Arm dieser Staatsmacht im Königreich war auf dem Land der Gendarm. Dieser kam meist vom aktiven Militär und sollte nun für „Ordnung“ und „Gesetzestreue“ sorgen, den Willen einer Herrschaft durchsetzen, die von den Bauern nur noch als schikanös empfunden wurde. Diese Gendarmen sorgten auch für die Durchsetzung der Interessen lokaler „Autoritäten“, ob Schlossherr, Pfarrer oder Lehrer und lagen so immer in Konflikt mit den Bauern, die mehr und mehr durch Landraub oder Betrug zu Leibeigenen geworden waren. Einen zuerst versteckten, dann später mehr und mehr offenen Krieg führten sie besonders mit Matthias Kneißl und seiner Familie.

I bi vo Weikatshofa/ I sags ganz unscheniert/ Mei Vata war a Müller/ Da Paschkoliniwirt/ Mei Muatta war a Zweigerl/ Vom Paschkolini-Kern/ Sie liabt bis heut no allerweil/ Die junga Burschn gern/ Mei Vata hat a Müllei pacht/ Vom Sulzemooserschloß./ Da oa hat gstohln a Schaferl/ Da hama öfters gschlachtlt/ Guate Fraßerl hots da gebn/ Das war hoit in da Schachamuihl/ A ganz a lustigs Lebn.“ (Kneißl-lied)

Der „Paschkolini-Kern“ ist Johann Baptist Pascolini, der 1831 in Unterweikertshofen im Landkreis Dachau geboren wurde und sich zu einem professionellen Einbrecher und Räuber entwickelte, und 1871 mitten am Tag aus der Strafanstalt München-Au geflohen war, wo er 18 Jahre hätte einsitzen müssen. Er wurde in Dezember desselben Jahres nach einem versuchten Einbruch von seinem Kumpel bei der Flucht –wahrscheinlich versehentlich –am Kopf tödlich getroffen. Seine Schwester Therese war die Mutter von Matthias Kneißl, die zusammen mit seinem Vater, einem ehemaligen Müllerlehrling und Schreiner eine Mühle in der Nähe von Unterweikertshofen betrieben.
Dort wurde wohl nicht nur mit Mehl gehandelt, sondern war auch beliebter weil lohnenswerter Treffpunkt von Wilderen und Dieben. Tote Hirsche brachten viel Geld.

Wildern war zu dieser Zeit eine tägliche Praxis, von fast allen in den umliegenden Dörfern betrieben oder zumindest toleriert. Kirchenraub allerdings nicht.

Im September 1892 wurde die Wallfahrtskirche in Friedberg ausgeraubt. Kelche, Kerzenleuchter und weitere Reliquien gestohlen! Welch ein Frevel ! Die Mutter, Therese, wird einige Tage später in München festgenommen, als sie einige der Gegenstände verkaufen will. Daraufhin stürmt die Gendarmerie die Mühle und verhaftet den Vater, der vergebens zu fliehen versuchte. Auf dem Weg zum Gefängnis in Dachau wird dieser so schwer verprügelt, dass er wenig später in der Gefängniszelle stirbt. Die bayerische Polizei war schon immer nicht sehr wählerisch in ihren Mitteln.

Der Vater tot, die Mutter in Untersuchungshaft, um den jungen Matthias kümmert sich anfangs keine(r). Mit seinem Bruder Alois streift er durch die Gegend, lebt von kleineren Diebstählen, ernährt seine Geschwister durch Wildern in den nahe liegenden Wäldern, die damals dem Baron von Schaezler gehörten – durch Betrug an den Bauern zum “Eigentümer“ geworden.

Auch der Dorfpfarrer, die gesetzliche Schulaufsicht, hielt die Kneißlbrüder an der Leine und die hieß: Schulzwang. Es war damals in Bayern üblich, dass die Kinder sieben Jahre in die Volksschule gehen mussten und anschließend drei Jahre in die so genannte „Volksfortbildungsschule.“ Diese war wöchentlich einmal, und zwar am Sonntag. Sie wurde deshalb auch „Feiertagsschule“ genannt. In diese Feiertagsschule musste nach seiner Entlassung aus der Volksschule auch der Kneißl Matthias gehen. In einem Zimmer eingesperrt, die Hände auf die Bank, die Augen nach vorne zum Lehrer*innenpult– oft genug waren die Kneißlbrüder dem entwischt.
Nun schickte der Pfarrer zwei Gendarmen los, um Matthias und Alois wieder in die Schule zu zwingen. Gendarmen – die die ihren Vater totgeschlagen hatten, Gendarmen, die verhassten Erfüllungsgehilfen von Königshaus, Großgrundbesitzern und Kirche.

Als die Polizisten am 2. November 1892 die Mühle betreten, werden sie von Alois und einem anwesenden Freund mit Gewehrfeuer empfangen, bleiben schwer verletzt liegen. Nach Tagen der Flucht werden Alois Kneissl und Joseph Schreck festgenommen, zu 16 bzw. 12 Jahren Zuchthaus verurteilt.
Zwei Wochen später wird Matthias Kneissl festgenommen. Obwohl er keine Schüsse abgegeben hatte, wurde er wegen Mordversuch, schwerem Diebstahl, Raub, Bedrohung und Jagdvergehen zu einer Gefängnisstrafe von sieben Jahren verurteilt.
Leute wie er hatten die sozialen Grenzen und die Ordnung des Königreichs Bayern zu akzeptieren – viel hat sich nicht bis heute dort geändert.

Matthias Kneissl muss die vollen sieben Jahre in lichtlosen Verliesen bleiben, physisch und psychisch angeschlagen geht er anschließend nach München, wo inzwischen seine Mutter wohnt.
Dort gelang es ihm nicht, längere Zeit eine Arbeit als Schreiner zu finden. Überall tauchten die Gendarmen auf und machten in großen Übertreibungen die Haft und die Gründe der Haft öffentlich.

Er antwortet mit Raubüberfällen, entwendet bei einem reichen Hopfenbauern Pfandbriefe. Bei dem Versuch, sie weiterzuverkaufen, wird er denunziert, kann aber flüchten – diesmal allerdings schießt er selbst. Zwei Gendarmen stehen nie wieder auf.

Nun beginnt eine regelrechte Hetzjagd. Im ganzen Königreich Bayern hängt sein Steckbrief. Er hatte nicht Bauern getötet, sondern Vertreter der Staatsmacht. Das Kopfgeld wird auf 1000 Mark erhöht. Telegramme gehen an die Polizeibehörden von Berlin, Frankfurt und Salzburg, an die Hafendirektionen von Bremen, Hamburg, Triest und Genua. Alls Hausierer getarnte Beamte durchkämmen das Land. Die Polizei sperrt Straßen und bewacht Kreuzungen, kreist Waldstücke ein und beschattet Kneißls Mutter in München. Aus dem Räuber wurde ein Staatsfeind .Im Frühjahr 1901 wird er dann von 70 Polizisten umstellt.

Zum Invalid‘n hab‘ns‘n g’schoss‘n, des is ja wohlbekannt/ Und daß’s an Hias‘l g‘fanga hab‘n, des woaß des ganze Land/ Auf da Bahre hab‘ns‘n transportiert, a 6 an 8 Schandarm/ des gibt ja in da Münchna Stodt an fürchterlichen Alarm.“(Kneißlied)

Am 5. März, in der Früh wird Schiessbefehl erteilt. Eine Stunde lang schießen die Gendarmen auf das Versteck, einen kleinen Bauernhof in Geisenhofen (Landkreis Fürstenfeldbruck), durchschlagen Fenster und Türen. Als sie das Haus stürmen, finden sie auf dem Dachboden den schwer verletzten Matthias, der keinen einzigen Schuss abgegeben hatte. Den rechten Arm und die linke Hand zerschossen, eine Kugel im Bauch, lag er zusammenkauert hinter einem Kamin. Auf dem Weg ins Krankenhaus wird er von den Polizisten geschlagen und getreten. Die Ärzte retten ihm das Leben – damit er vor Gericht gestellt werden kann. Vier Monate bleibt er in der Chirurgie in München.

Am 14.November 1901 beginnt der Prozess gegen Mathias Kneißl vor dem Oberlandesgericht in Augsburg

.


Matthias Kneissl wird bis heute wie ein „Bayerischer Robin Hood“ gefeiert.
Geschenke an die Armen habe er gemacht, das Diebesgut geteilt. Oft geschah dies aber auch aus einer persönlichen Notwendigkeit. Die Verfolgung durch die bayerische Polizei, der Hass der Obrigkeit und das damit vermittelte Gefühl, in Bayern nicht gewollt zu sein, forderten Hilfe und Solidarität. Viele nahmen dadurch selber ein großes Risiko auf sich, denn wer einem polizeilich Gesuchten ein Nachtlager anbot, wurde selbst hart bestraft. Umsonst war es daher oft nicht, Kerzenleuchter oder Wild dann Kneissls Währung.

Aber dass er der Obrigkeit getrotzt hatte, sich angelegt hatte mit den „Betrügern da oben“, das Herz am rechten Fleck habe, imponierte vielen.

Die Gendarmen waren auf den oberbayerischen Dörfern unbeliebt. Denn viele von ihnen kamen aus Franken und Franken lag für sie in Preußen und sie verkörperten in ihrer brutalen und autoritären Art die „hohen Herren aus der Stadt“.
Postkarten wurden gedruckt, Flugblätter auf Kneissl, der der Polizei immer wieder entwischt war. In den Kneipen sangen sie Spottlieder auf die Polizei, Matthias Kneissl wurde so schon zu Lebzeiten zur Legende, ein Einzelkämpfer für die Gerechtigkeit.

Der Weg vom Gefängnis zum Justizpalast und der Platz davor waren dicht mit Neugierigen und sollte es die nächsten vier Tage bleiben. Das Urteil dann: Matthias Kneissl wird zum Tode durch das Fallbeil verurteilt. Sein Henker ist Franz Xaver Reichhard, dessen Neffe 1943 Widerstandskämpfer*innen der „Weißen Rose“ hinrichtet.

Es war an einem Montag, vor gar nicht so langer Zeit/ Die Vögel haben nicht gesungen, und die Glocken haben nicht geläutet/ Da haben sie Mathias Kneißl zur Hinrichtung gefahren/ Im Rollstuhl, denn in seinem Rücken steckten die Kugeln der bayerischen Gendarmen/“Die Woche fängt ja gut an“ / Und der Henker zog ihm die Kapuze über den Kopf / Doch der Mathias war kaltblütig / Denn er wusste, dass er bald in den ewigen Wald muss/
Wo er in Frieden mit seiner Frau und seinem Kind leben kann/ Wo er sich nicht mehr verstecken muss, wo ihn kein Polizist finden kann/ Wo die Wälder voll sind mit Hirschen, Hasen und Rehen/
Wo er sich etwas zum Essen schießen kann, wo er im See baden kann/ Wo er so leben kann, wie es ihm passt, ohne Pfarrer und Bürgermeist/ Wo er gehen oder laufen kann, wie es ihm gefällt/ Natürlich haben sich die Leute vor seinem rußgeschwärzten Gesicht gefürchtet/ Doch wer genau hinsah, wusste: das ist eine ehrliche Haut/ Auch wenn die Polizei herumerzählt hat: „Passt auf, der Mann ist gefährlich“ / Doch wer ihn kannte, wusste: der Mann ist gut, der Mann ist ehrlich/ Oft hat er die Reichen bestohlen/ Aber er hat das Geld nie behalten, er hat es den Armen und Alten gegeben/ Er war einer von den Alten und Echten/ Aber er wurde wie ein Hund gejagt/ Er war einer von den Alten und ganz Großen/ Und darum haben sie ihn 1902 zum Krüppel geschossen/ Er war einer von den Alten und Echten/
Aber sie haben ihn sein Leben lang wie einen Hund gejagt/ Den Mathias Kneißl“
 (Georg Ringswandl – hier in einer hochdeutschen Übersetzung)

 

 

Ich kann kein Unrecht leiden. Ich kann mich nicht beugen, lieber geh ich selber zu Grunde“ waren die letzten Worte von Matthias Kneissl. Wir finden sie in Verfilmungen, in Erzählungen und Texten über ihn.


Dez 17 2020

„Wir sind gefährlich, sogar asozial und zerstörerisch “ – (Zu John Olday)

„Alle Macht den Räten“ – diese Parole stand nicht nur in der Vergangenheit für eine eher antiautoritäre Position in der Arbeiter*innenbewegung, sondern kann auch heute noch, wenn auch durch die Diskussionen und Erfahrungen der Zeit modifiziert, immer noch für den Ausdruck einer Organisationsidee einer befreiten Gesellschaft resp. als ein Mittel für den Weg dorthin angesehen werden. Wenn wir auch heute eher „Keine Macht für alle“ als Synonym für eine Gesellschaft „der Freien und Gleichen“ sehen, und uns eine Organisation nach dem Rät*innenprinzip auch und vor allem aus dem jeweiligen unmittelbaren Zusammenhang wünschen und fördern ( also über die Produktion hinaus bzw. neben ihr) so bleibt doch diese Organisations-form resp. -möglichkeit eine der elementaren Ideen für eine Gesellschaft /Welt ohne Staaten und Klassen.

Wenn sich diese Idee – erstmals proklamiert und probiert während der Pariser Kommune 1871 – durch die Bolschewiki in der „Sowjet“union abgeschafft oder in ihr Gegenteil umgekehrt wurden, gab es doch weiterhin Versuche, zur Ursprünglichkeit zurückzukehren. So wie beim durch die Anarchist*innen beeinflussten Aufstand in Kronstadt „Alle Macht den Sowjets, nicht den Parteien“ und den Räterepubliken in München Bremen usw., die aktiv von sogen. „Räteanarchisten“ wie Erich Mühsam und Gustav Landauer vorangetrieben wurden.

Auch der Grafiker und Karikaturist John Olday verstand die Räteidee in ihrer Wurzel als anarchistisch, d.h. für ihn war dies der Weg zu einer sich selbst organisierenden Gesellschaft.
So versuchte er 1947 in Abgrenzung zu Rockers „Kommunalismus“ ( siehe dazu die Broschüre „Zu Betrachtung der Lage in Deutschland – Die Möglichkeiten einer freiheitlichen Bewegung“) dem Rät*innenkonzept eine neue Geltung zu geben. So nannte er die Zeitschrift „Anarchist“, die 1886 in Chicago gegründet und nun 1948 von ihm wieder herausgegeben wurde, in „Räteanarchist“ um, die allerdings nur 5 Ausgaben hervorbrachte. Immerhin wurde dadurch dem Rät*innenanarchismus in Deutschland (wieder) eine Stimme gegeben. Denn schon 1924, nach der Niederschlagung der Arbeiteraufstände in Hamburg, war John Olday als „räteanarchistischer Agitator“ im Ruhrgebiet unterwegs.

„Fragt nach Brot/wenn sie euch kein Brot geben/nehmt euch das Brot“ (Emma)

Am 18. und 19. August 1916 kam es in den vor allem von Arbeiter*innen bewohnten Hamburger Stadtteilen Barmbek (im Norden) und Hammerbrook (nahe St.Pauli) zu Hungeraufständen. Die hohen Preise für Obst und Gemüse und andere Lebensmittel sowie das Ausbleiben der Kartoffellieferungen – dem „Herzstück der deutschen Küche“ – führten zu einer eher spontanen Notwehrreaktion. Die Scheiben von Geschäften wurden eingeschlagen, viele anschließend ausgeräumt. Brutal schlugen Polizei und Militäreinheiten, dabei die Wandsbeker Husaren – am Abend des 19. die Revolte nieder, es gab Verletzte und Festnahmen.
Noch heftiger dann die Repression sechs Tage später. Als bekannt wurde, dass das Bürger*innentum keinerlei Versorgungsprobleme hatte, zogen die Revoltierenden in das Villenviertel Harvestude. Sie wurden dort „mit Säbeln niedergestochen. Wie Bestien ging die Polizei auf hungernde Frauen, Männer und Kinder los“. So die Aussage eines Soldaten auf Heimaturlaub. „Aber es kommt der Tag der Vergeltung, wenn die, denen das Morden gelehrt worden ist, zurückkehren werden“.
Anfang 1917 erstreckten sich die Hungerrevolten dann über fast ganz Hamburg. Nach Protesten vor dem Rathaus wurden Brot-und Lebensmittelgeschäfte gestürmt, zur Selbsthilfe gegriffen, als legitimes Mittel der Wiedergutmachung und auch als ein Ausdruck einer gemeinsamen Identität.

Der zu diesem Zeitpunkt 12jährige John Olday, aufgewachsen in den Docks des Hamburger Hafens, war von Anfang an bei den Revolten dabei. Und er schleppt Munition – beim Matrosenaufstand 1918 steht er neben einem Maschinengewehr des „Spartakusbundes“.

Im Januar 1919 kommt es nach einigen Demonstrationen des „Arbeiter-und Soldatenrates“ zum „Besuch“ des Alsterpavillon und des Luxushotels „Atlantic“. Hier labte sich das Bürgertum ostentativ an allem, was den Erwerbslosen unerreichbar war. Hier tauchte alles das auf, was auf den anderen Lebensmittelmärkten schon lange nicht mehr zu erhalten war. Die hier nun erbeuteten Nahrungsmittel halfen vielen arbeitslosen Familien über die nächste Woche. Ähnliche Aktionen – oft von Kindern und Jugendlichen wie John Olday durchgeführt– hielten sich bis zum „Osteraufstand“ in St.Pauli, der am 23.April niedergeschlagen wird.

Wir sehen John Olday auch bei den „Sülze-Revolten“ am 23. Juni . Eine Woche später marschiert das Reichskorps in Hamburg ein, errichtet Schnellgerichte
John entgeht einer Hinrichtung in letzter Minute und kann untertauchen.

Am Morgen des 23.Oktober 1923 kommt es zu bewaffneten Kämpfen in einigen Hamburger Stadtteilen, vor allem Brambek und Eimsbüttel. Hauptverkehrsstrassen werden blockiert, Barrikaden gebaut, Polizeiwachen angegriffen und besetzt. Vorangegangen waren wieder Erwerbslosendemonstrationen und ein drei Tage zuvor begonnener Streik der Werftarbeiter(der von der KPD abgelehnt wurde). Obwohl wohl Kommunist*innen diese Aufstände mitiniitiert hatten, distanzierte sich die Leitung der KPD davon, nannte es einen „Putsch“. Und so beteiligten sich dann auch nur wohl 150 Kommunist*innen an den Barrikadenkämpfen der nächsten Tage.
John Olday war nicht nur an der Barrikade, sondern auch in einer Guerillaeinheit der „Anarcho-Spartakisten“, die vor allem in Brambek mit Unterstützung vieler Stadtteilbewohner*innen zwei Tage und Nächte sich der verschärfenden Aufstandsbekämpfung widersetzten konnten –

„Hungerdachluken gegen die Ordnungspanzer von Obertier Danner, nicht unser Ober, nicht unser Panzer, nicht unsere Ordnung, bloß unser Hunger – wann fängt dein Sterben denn an?“ („Wird Zeit dass wir leben“)

1925 zieht sich John Olday einige Zeit aus der aktiven Bewegung zurück, wird zu einem politischen Cartoonisten. Doch die faschistische Machtergreifung wirft ihn regelrecht wieder ins tägliche Geschehen. Hier nun setzt er seine zeichnerischen Qualitäten ein, illustriert antifaschistische Flugschriften, erfindet zusammen mit sozialrevolutionären Aktivist*innen Möglichkeiten, seine Cartoons durchs ganze Land zu schicken. Die Zeichnungen und die Texte werden verkleinert und als und in Gebrauchsanweisungen für Küchengeräte per Post verschickt.

John Olday begibt sich parallel dazu in ein waghalsiges Spiel. Seine nach außen getragene „künstlerische Exzentrik“ und seine Homosexualität bringen ihn immer wieder in Kontakt zu den höheren Kreisen der nationalsozialistischen Machthaber – die nutzen ihrerseits John Oldays Popularität als Zeichner aus, um den Schein der künstlerischen Freiheit unter dem NSRegime zu demonstrieren. Es ist ein Unternehmen, das für John Olday jeden Tag tödlich enden kann. Bis 1938 gelingt es ihm, viele Genoss*innen vor Verhaftungen und KZ-Deportationen zu bewahren. Doch die wachsende Gleichschaltung und die Diffamierungen zur „entarteten Kunst“ brachte ihn auf die Liste der Gestapo. Nur knapp kann er einem ihrer Kommandos entkommen, geht nach London, wo er ziemlich schnell Kontakt zu antimilitaristischen Kreisen findet und durch eine Sammlung von Zeichnungen („Reich der Lumpen“) die britische Öffentlichkeit über den deutschen Faschismus aufklärt.

Sein Aufenthalt im Land weckt Erwartungen von Seiten der britischen Regierung. Als sie ihn zum Kriegsdienst gegen die Deutschen zwingen will, taucht er unter. Mit Unterstützung der anarchistischen „Freedom“ Gruppe kann er im Londoner Untergrund seine antimilitaristischen Aktivitäten fortsetzen, in denen er zum einen für die anarchistische Zeitung „War Commentary“ scharfe satirische Karikaturen veröffentlicht, zum anderen gibt er zusammen mit Marie Louise Berneri und Vernon Richard eine Flugschrift für die britischen Soldaten heraus. Hier wird zur Errichtung von „Arbeiter-und Soldatenräten“ aufgerufen, ähnlich denen, die John Olday noch aus den kämpferischen Jahren in Hamburg kannte. Diese Agitation war so erfolgreich, dass sich die britische Kriegsindustrie und deren Regierung nur mit Verhaftungen von Anarchist*innen wehrte.

In dieser Zeit erregen die Zeichnungen „The March to death“. Darin entlarvt John Olday die Kollaboration herrschender Mächte bei der Unterdrückung ihrer jeweiligen Bevölkerung. Trotz verschiedener Machtsysteme erscheinen die Mechanismen der Manipulation ähnlich, die oft in kriegerische Konflikte münden und in „Todesmärschen“ der jeweiligen Bevölkerung.

1944 fliegt seine verdeckte Identität auf. Er wird verhaftet und nach einem achtmonatigen Gefängnisaufenthalt wegen Desertion in ein Straflager deportiert. Die Öffentlichkeitsarbeit der „Freedom Press Defense Comitee“, dem u.a. auch Herbert Read und George Orwell angehören, erreicht, dass er nach drei Monaten aus dem Lager entlassen wird.

Im August 1946 gelingt John von London aus mit deutschen Kriegsgefangenen die Gründung der „Internationalen Bakunin Gruppe“, deren Hauptaufgabe die Wiederbelebung der anarchistischen Gesellschaft vor allem in Deutschland sein soll.

„Unser Ziel ist die Vernichtung jeglicher Staatlichkeit und der Aufbau einer herrschaftsfreien Gütergemeinschaft auf der Basis des Rätesystems. Dies kann nur individuell und in kleinen Gruppen geführt werden, da wirklich revolutionäre Organisationen weder vom Staatskapitalismus noch vom Staatssozialismus geduldet werden.“

Sie plädieren für den Aufbau anarchistischer Zellen, die „wie ein Maulwurf an den Wurzeln des Staates“ nagen.
Und dadurch werde – so John Olday – der Anarchismus „wie ein Baum in die Breite wachsen und das Fundament des Staates unterhöhlen“. Jede Mitarbeit in öffentlichen Institutionen auch auf kommunaler Ebene wird als „reformistisch“ abgelehnt – dadurch begibt sich namentlich John Olday in strenger Abgrenzung zu Rudolf Rocker.

Die wenigen Anarchist*innen im kriegsverwüsteten und geteilten Deutschland sahen sich in einer Perspektivlosigkeit gefangen –sie wussten nicht was sie angesichts der gewaltigen Trümmer, die Teilung in Besatzungszonen und dem dadurch entstandenen Machtvakuums eines nicht vorhandenen Staates tun sollten.
In dieser Situation verfasste Rudolf Rocker aus den USA heraus seine Broschüre.

Er sieht in dem Land, das nun keine zentrale Macht mehr hat, eine Chance, eine neue Geschichte zu beginnen, um dem Erwachen eines neuen zentralen Staates entgegentreten zu können. Er plädiert für kommunale Selbstverwaltung, die beweisen sollte, dass es keiner übergeordneten Regierung bedarf und er sah dies im Sinne einer eher europäischen, dann irgendwann weltweit agierenden Föderation.

Nicht nur John Olday und die „Internationale Bakuningruppe“ lehnten eine kommunale Vertretung als „Kollektivkapitalismus“ ab.
Die vermeintlichen überschlauen Führer behindern die …Energieentfaltung der Massen bei der Befreiung von jedweder Knechtschaft. Solche Kurpfuscher können Taten nicht ersetzen. Eben sowenig kann der Föderalismus an die Stelle des Anarchismus treten. Es gibt nach wie vor ein Allheilmittel, nämlich die herrschafts-und eigentumslose Ordnung! Durch Mitarbeit in Gemeinden, Genossenschaften und Gewerkschaften ist sie gewiss nicht zu erreichen. Denn das sind Sumpfgebilde privat-oder kollektivkapitalistischer Herrschaft.“ (Willy Huppertz)

Huppertz wandte sich allerdings dann auch gegen den „Bolschewismus“ der Rätekonzeption von John Olday.

Dieser setzte die Notwendigkeit aller antiautoritären Sozialist*innen, Rätekommunist*innen und Anarchist*innen dagegen. In einer Art „Spartakusbund“ auf anarcho-kommunistischer Ebene – ohne interne Bürokratie oder starrer Disziplin. Jede illegale Zelle soll in eigenem Ermessen der jeweiligen Situation mit ihren Möglichkeiten agieren – das Ziel: die sofortige Zerstörung des Staates.

Es gelingt ihm in verschiedenen Ländern ein Netz dieser „Anarcho-Spartakisten“ zu initiieren, allein 60 Zellen bilden sich in Deutschland, die meisten davon in der von der Sowjetunion besetzten Zone – die aber ziemlich schnell von der stalinistischen Geheimpolizei blutig aufgelöst wurden.

Wir werden gefährliche Unruhestifter genannt, weil wir die bestehende Ordnung angreifen. Jawohl, wir sind gefährlich, sogar asozial und zerstörerisch. Denn wir wollen den Staat, der die Inkarnation von Gewalt und Vernichtung ist, mit Gewalt zerstören. Wir verweigern ihm jeglichen Gehorsam, weil der die Menschen ihres Rechts auf Selbstbestimmung beraubt. Wir erkennen keine Gesetze an, weil sie lediglich auf dem Recht des Besitzes beruhen. Wir beugen uns nicht der herrschenden Moral, weil sie lediglich die Reichtümer der Bevorrechtigtem schützt. Jedoch sind wir nur deshalb asozial, weil uns ein Gefühl der sozialen Gerechtigkeit treibt. Wir sind nur deshalb zerstörerisch, weil uns ein konstruktiver Instinkt leitet. Wir werden nicht aufhören, die Betrogenen zur Rebellion aufzureizen. Denn es gibt nur zwei Möglichkeiten. Entweder die Menschen zerstören den Staat, oder sie werden vom Staat zerstört.“

Doch schon bald, Ende 1948, taucht John Olday wieder ab. Zurück blieben seine klaren Abgrenzungen zwischen Etatismus und antiautoritärer Bewegung. Seine Aussage, alle Länder seien besetzte Länder, solange sie eine Regierung haben ist auch heute noch höchst interessant.

John geht nach Sydney, um dort an Kabaretts und Theatern eine bezahlte Arbeit zu finden. Ende der 60erJahre locken ihn die neuen sozialen Bewegungen wieder nach London.Er arbeitet bei den anarchistischen Zeitungen „Black Flag“ und „Freedom“ mit, engagiert sich als Räte-Anarchist bei den „Industrial Workers of the World“.
Er hält weiter Kontakt zu Emigranten und revolutionären Gefangenen, schreibt an Theaterstücken.

1977 stirbt er im Alter von 72 Jahren.


Okt 17 2020

Liebe Afrikaner*innen, liebe Geflüchtete….

– schon früher haben wir Europäer Glück und Wohlstand auf deinem Kontinent verbreitet.
Und auch heute schicken wir deinen Regierungen viel Geld und viele Geschenke.
Wir wissen natürlich, dass bei dir nicht jeder bereit ist für Demokratie.
Aber wir sind tolerant.

Solange der Handel funktioniert mischen wir uns nicht ein.
Andere Länder andere Sitten.
Aber falls das mit dem Handel mal nicht mehr so gut klappt,
schicken wir dir natürlich auch gerne unsere Wirtschaftshelfer.

Denn da wo es der Wirtschaft gut geht, geht es auch den Menschen gut.
Da haben dann alles was davon.
Wir Europäer bekommen ein paar Bodenschätze von dir,
und beschenken dich dafür mit den Errungenschaften unserer europäischen Zivilisation.
Da freuen sich dann auch deine vielen Kinder.

Bei soviel Selbstlosigkeit verstehen wir natürlich, dass Du auch mal nach Europa kommen möchtest,
um dich persönlich bei uns zu bedanken.
Deshalb unterstützen wir auch all die Länder durch die du reisen musst.
Dank uns können sie eine Infrastruktur aufbauen,
die dir die Durchreise so angenehm wir möglich macht.

Und das ist noch nicht alles, liebe Afrikaner*innen, liebe Flüchtlinge
Wenn Du es aufs Mittelmeer geschafft hast,
helfen Dir unsere freundlichen Mitarbeiter von FRONTEX weiter.
Die sorgen z.B. dafür, sass du dich auf den unendlichen Weiten des Mittelmeers nicht verirrst.
Und geben dir kostenlosen Schwimmunterricht.

Und weil wir jedes Jahr das Budget von FRONTEX erhöhen,
können sie auch dafür sorgen, dass du immer genug Wasser an Bord hast.
und arbeiten gleichzeitig mit deinen afrikanischen Verwandten und Freunden zusammen,
um den Seeweg in einen hübschen Steg zu verwandeln.

Liebe Afrikaner*innen, ihr lieben Flüchtlinge,

wenn du dann bei uns Europa doch noch  angekommen bist,
halten wir extra für dich eine komfortable Unterkunft bereit.
Hier kannst Du dich dann erstmal in alle Ruhe von der monatelangen Reise erholen.

Und du darfst an unserer Asyl-lotterie teilnehmen:
Wenn Du gewinnst, kannst bei uns in Europa bleiben
und einer feurigen Zukunft entgegenblicken.

 

Aber auch wenn du nicht gewinnst, muss du nicht traurig sein lieber Afrikaner.
Denn du bekommst immerhin den Trostpreis, ein kostenloses Ticket zurück nach Afrika.
Und da ist doch das Wetter eh viel schöner als hier bei uns in Europa……

Deshalb kommen wir ja auch immer gerne für einige Zeit zu euch
in die von euch für uns gebauten Hotels und Golfanlagen
um uns dort mit euren Führern und Vorsitzenden zu treffen
neue Wohltaten für sie und für uns zu vereinbaren

dafür schicken wir euren Frauen auch Nähmaschinen und bauen Schulen für eure Kinder und senden Bomben
die Schulen damit ihr lernt, wie das ist mit der Demokratie
und Bomben, wenn ihr das falsch verstanden habt.

So sterbt ihr, liebe Afrikaner*innen und Flüchtlinge, doch sicher lieber im Kreise eurer Angehörigen
als in schmutzigen Gefängniszellen und dunklen Hinterhöfen bei uns.

(nach: „Lieber Afrikaner“ von Alexander Lehmann „http://youtu.be/V1eZ8Ilgbfs“> — aktualisiert von stoergeraeusch schwerin 

 


Okt 1 2020

„Pie in the Sky“ – 7.Oktober Geburtstag von Joe Hill !

 „Pie in the Sky“ („leere Versprechungen“ oder auch „Wer`s glaubt, wird selig“) ist heute in der USamerikanischen Sprache eine sehr geläufige Redensart. Zum ersten Mal verwendet wurde sie 1911 in einem Lied „The preacher and the slave“, das sich spöttisch den Strassenpredigern der Heilsarmee im Westen der USA widmete, die in den Armenvierteln auftauchten und dort das „Blaue vom Himmel“ versprachen.

Langhaarige Prediger tauchen jede Nacht auf/um dir zu sagen, was falsch ist und was richtig/aber wenn sie um etwas zu essen gebeten werden/ antworten sie mit ach so süßer Stimme/ Du wirst essen/irgendwann/in diesem prächtigen Land über dem Himmel/ Arbeite und bete, lebe von Heu/ nach deinem Tod wirst du das Paradies finden)

Der Autor des Liedes war „Joe Hill“, der 1903 zusammen mit seinem Bruder von Schweden nach New York kam, um von dort aus die nächsten Jahre als einer von Tausenden Wanderarbeitern durch das Land zu ziehen.

Geboren am 7.Oktober 1879 in Gävle, Schweden, als Joel Emmanuel Häggland in eine religiöse Familie geboren, lernte er schnell verschiedene Instrumente zu spielen. Als sein Vater starb, waren er und seine acht Geschwister gezwungen, zum Unterhalt der Familie beizutragen. Dazu erkrankte er schwer an einer Haut-und Knochentuberkulose. 1902 starb auch seine Mutter. Wie viele Einwander*innen änderte er nach der Überfahrt in die USA seinen Namen, zuerst Joseph Hillström, dann in Joe Hill.

Wo er wann genau die nächsten Jahre als „Hobo“ arbeitete, ist kaum bekannt. Im April 1906 wurde er in Kalifornien gesehen, andere trafen ihn in den Lagern der Erntehelfer und Eisenbahnarbeiter der Canadian Northern Railway. Die meiste Zeit wohl arbeitete er jedoch als Hafenarbeiter.

Seine Spur findet sich dann in Baja California wieder, an der Grenze zu Kalifornien, wo die Revolutionäre um Flores Magón 1911 einen Aufstand gegen die Diazdiktatur in Mexiko organisierten. Viele der Mitkämpfenden kamen aus der IWW, andere aus der „Socialist Party of America“. Unterstützt wurden sie dabei von Anarchist*innen wie Emma Goldmann.

1913 wird er dann Sekretär des Büros der IWW in San Pedro(Kalifornien).

 

Der IWW engagierte sich verstärkt auf den Baustellen, den Lagern, überall dort, wo die Wanderarbeiter einen Job fanden – kämpften für höhere Löhne, für grundlegende soziale und hygienische Bedingungen.

Vor allem galt ihr Kampf den so genannten „Jobhaien“(Arbeitsvermittlern), die im Gegenzug die Heilsarmee und andere religiöse Gruppen dazu brachten, mit Trompeten und Trommeln die Redner*innen der IWW mundtot zu machen.

Daraufhin gab die IWW Liederkarten aus, die auf bekannte Melodien mit neuen Versen gesungen wurden. Diese Liederkarten bildeten dann die Grundlage des 1909 zum ersten Mal herausgegebenen IWW- Songbook, dabei auch Joe Hills „Pie in the sky“.

Es ging nicht immer so glimpflich ab im Kampf gegen die Jobhaie, die mit den örtlichen Behörden zusammenarbeiteten und eine Verordnung durchsetzten, die das Rederecht der IWW verbot. So verschwanden dann auch ne Zeitlang viele IWW-Aktivist*innen in den Gefängnissen. Die Haftbedingungen und die Brutalität der Polizei bei den Festnahmen riefen jedoch solche Empörung und Boykotts aus, dass die IWW neben der (Wieder-) Herausgabe ihrer Zeitschrift „Industrial Worker“ nun auch wieder auf den Strassen frei reden konnten.

Ob Joe Hill bei den Aktivitäten dabei war, ist nicht bekannt und eher fraglich. Er galt als stiller Mensch, der nicht gerne erzählte und noch wenig als Redner auffiel.

Eine ähnliche Verbreitung wie „Pie in the sky“ erreichte seine Version des „Casey Jones“, welche er zur Unterstützung des Streiks der Eisenbahnhelfer im September 1911 schrieb.

„Casey Jones“ war im realen Leben John Luther Jones, ein Lokomotivführer, der am 29.April 1900 erfolgreich versuchte, einen Zusammenstoß mit einem Güterzug zu verhindern. Er wurde als der Held der Arbeiter besungen, die nicht gewartete und notdürftig reparierte Lok, die den Aufprall erst hätte ermöglicht, wurde nicht erwähnt.

 

 

In der Version von Joe Hill erscheint Jones als Streikbrecher, der für seine Verdienste und Treue zur Eisenbahngesellschaft die „Holzmedaille“ verdient habe „hielt er doch seinen Schrotthaufen in Betrieb und machte doppelte Überstunden“.

Die streikenden Bahnhelfer waren von Joe Hills Version begeistert und das Lied wurde im ganzen Land bekannt.

Das IWW Songbook von 1913 enthielt neun neue Lieder von Joe Hill. Dabei zwei, die sich gegen den Krieg und die Militarisierung richteten.

 (Jedes Jahr geben wir Milliarden für Waffen und Munition aus/”Unsere” Armee und “unsere”Flotte/sollen stets in guter Verfassung sein;/ während Millionen Menschen im Elend leben/und Millionen vor uns gestorben sind)

 

Die  Gesellschaft, in der Joe Hill seine Lieder schrieb, war eine Gesellschaft der Männer: im Westen waren die Lohnarbeiter fast ausschließlich Männer, nur in den Textilfirmen im Osten des Landes gab es mehr Lohnarbeiterinnen.

Joe Hill wollte die Frauen auch in die IWW. Im Frühjahr 1913 schrieb er dafür das Lied: “What we want“

We want the tinner and the skinner and the chamber-maid,

We want the man that spikes on soles,

We want the man that’s digging holes,

We want the man that’s climbing poles,

And the trucker and the mucker and the hired man,

And all the factory girls and clerks,

Yes, we want every one that works

(Wir wollen den Klempner/den Selcher/das Zimmermädchen/Wir wollen den Mann der die Schuhe besohlt/den Mann der Gruben gräbt/wir wollen die Telegrafenarbeiter/Und die Lastwagenfahrer/die Schotterer und die Leiharbeiter/ Und all die Arbeiterinnen und Angestellten der Fabriken/ Ja, wir wollen alle, die arbeiten…)

 

Aber das wohl bekannteste Lied von ihm in diesem Zusammenhang ist „Rebel Girl“: „Das ist das Rebel Girl/das ist das Rebel Girl/ Sie ist für die Arbeiterklasse eine kostbare Perle/sie bringt Mut, Stolz und Freude/Mit einem Rebel Girl ist es großartig/ für die Freiheit zu kämpfen“

 

 

Die Lieder schrieb er in San Pedro, wo er auch als Sekretär im lokalen Büro der IWW arbeitete. In dieser Tätigkeit wurde er während eines kurzen Streikes der Hafenarbeiter verhaftet und zu 30 Tagen Gefängnis wegen „Landstreicherei“ verurteilt.

Im Herbst 1913 zog Joe Hill nach Salt Lake City (Utah), um dort in der Werkstatt der Silver King Mine in Park City zu arbeiten. In dieser Region war die IWW besonders verhasst, hatten sie doch trotz massiver Repression Lohnerhöhungen und bessere Arbeitsbedingungen auf den Baustellen der Utah Construction (Baufirma mit Aufträgen der Eisenbahngesellschaften) durchgesetzt.

Einige Tage vor Weihnachten besuchten Joe Hill und ein Freund die schwedische Gemeinde in Salt Lake City, wo er in einer Pension übernachtete. Am Montagabend, den 13.Januar 1914, wird er von drei Polizisten überfallen, angeschossen und wegen Mordes verhaftet. Er soll am 11.Januar einen ehemaligen Polizeioffizier, John Morrison, überfallen und zusammen mit einem Unbekannten erschossen haben – aus „Rache“. Der Polizeichef von San Pedro war überzeugt, das es Joe Hill war, „diesen lästigen Genossen“, dessen Gewerkschaft und dessen Lieder er hasste – nun war die Gelegenheit, Joe Hill endlich loszuwerden.

Hill hatte keine Vorstrafen, es existierte keine Verbindung zu dem Opfer und wurde von keinem der Zeugen des Mordes (einschließlich Morrison Sohn) erkannt.

Am 27.Juni 1914 wird er für schuldig befunden und zum Tode durch Erschiessen verurteilt.

In den Monaten seiner Haft schreibt er neue Lieder, hat nichts von seiner Hoffnung auf die Arbeiter*innenkämpfe verloren. Zu einen komponiert er die Musik zu seinem „Rebel Girl“ und es entsteht „Workers of the world awaken“.

(Wenn sich die Arbeiter*innen einig sind/können sie jeden fahrenden Zug anhalten/Jedes Schiff irgendwo auf dem Meer/können sie mit starken Ketten verankern/Jedes Rad in der Produktion/Jede Grube und jede Mühle/Flotten und Armeen aller Nationen/stehen auf ihr Kommando still/)

 

 

 

(Coverversion von “ Workers of the world awaken “ als Funkversion – schöne Bilder)

 

 

 

Draussen beginnt weltweit ein Protest gegen die Inhaftierung und Anklage von Joe Hill, erreicht wird lediglich ein Aufschub der Hinrichtung.

Joe Hill arbeitet weiter ruhig an seinen Liedern.

Er schreibt an Bill Haywood, dem Generalsekretär des IWW die berühmten Worte: „ Trauert nicht – organisiert“.

Als endgültiger Termin für seine Hinrichtung wird der 19.November festgelegt. Am Abend zuvor übergibt Joe Hill einem Gefängniswärter einen Zettel mit den Worten „Mein letzter Wille“:

 

(Mein letzter Wille ist leicht zu bestimmen/Denn ich habe nichts zu verteilen/Meine Verwandten brauchen nicht stöhnen und jammern/“Ein rollender Stein setzt kein Moos an“/Meine Leiche?/Ach, wenn ich wählen könnte/hätte ich gern zu Asche verbrannt/Und lasst ein laues Lüftchen wehen/meinen Staub dorthin wo einige Blumen wachsen/ Vielleicht werden dann einige blasse/ zu neuem Leben kommen und zur Blüte/ Das ist mein letzter Wille —- Viel Glück euch allen !)

 

 

 

 

                                                    (Utah Phillips: Joe Hill´s Last Will)

Nach einer Trauerfeier in Salt Lake City wird sein Körper nach Chicago gebracht, wo bei der Beisetzung Tausende seine Lieder singend dem Sarg folgten.

 

Seinem „letzten Willen“ entsprechend wurde er eingeäschert und am 1.Mai 1916 die Asche von Menschen in verschiedenen Ländern verstreut.

 

 

 

(„ I dreamed I saw Joe Hill last night“ mit der unvergesslichen Band Chumbawamba)

       

        Alive as you and me

        Says I, „But Joe, you’re ten years dead“

        „I never died“, said he.

        By and by, by and by

        Forget that glorious land above the sky

        Don’t you cry, don’t you cry

        By and by


Sep 25 2020

Herrschaft des Menschen über die Natur ist Herrschaft über den Menschen…. für einen wirklichen Klima und Systemwandel..

1.

Wenn wir einigen Klimaforscher*innen genauer zu hören, wird die Temperatur bis 2050 in den Metropolen bis zu 7,8 Grad ansteigen. Was dies für die Erde und viele Teile der Menschheit bedeutet, kann kein Horrorszenario aus Hollywood in Bildern fassen. Was sehen wir heute schon? Eis und Gletscherschmelze; Anstieg des Meeresspiegel, Auftauen von Permafrostböden, wachsende Dürrezonen und Wüstenbildung, zunehmende Wetterextreme, Artensterben etc.

In dieser Entwicklung bilden sich sozial-ökonomische und politische Veränderungen. Hungersnöte und Wasserknappheit, Tote und Kranke durch Hitze und Seuchen, Kriege um Ressourcen …und die damit zusammenhängende Zerstörung von Lebensgrundlagen Millionen von Menschen und deren Migration…

Wir erinnern uns und werden von den Rechtspopulisten und Faschisten immer wieder an das Jahr „2015“ … und wir sehen seitdem Grenzzäune, nationalistisches Gebrabbel, Hetze, allgemein werdenden Rassismus, künstlich erzeugte Panik, es ist nicht absehbar, welche menschenverachtenden Reaktionen kommen, wenn sich die o.a. Millionen von „Klimaflüchtlingen“ auf den Weg machen …

2.

Der Klimawandel ist spürbar, ist Realität – und dies kann nicht durch individuelles Verhalten aufgehalten werden. Viele Appelle richten sich an dich und mich – an unser Konsumverhalten – und wird damit zu einem individuellen Problem der Einzelnen herausgezogen – „Du kannst etwas ändern“ –mit solchen Parolen wird uns gesagt, „wir sitzen alle in einem Boot“.. „wir alle haben das zu verantworten“ … also ändert euren Lebensstil, werdet bessere Menschen…

So wird die Verantwortlichkeit der Wirtschaft, der Industrie und der Politik mit der Verantwortlichkeit von uns allen gleichgesetzt.Diesem neo-liberalen Dröhnen sei folgendes entgegengehalten:

Der Klimawandel ist in der Hauptsache das Resultat von fatalen sozialen Verhältnissen und ein klares Symptom der allgegenwärtigen Ausbeutung von Mensch und Natur durch:

– ein Wirtschaftssystem, das auf kurzen Profit ausgerichtet ist und nicht an die Bewahrung der Lebensgrundlagen, gestützt durch

entfremdete Arbeit, fehlende Selbstbestimmung, zunehmende Abhängigkeiten durch grosse nur profitorientierte Konzerne

und dadurch verbunden der Verlust von „sozialem Wissen“ und Autonomie (de-skilling) — das Wachsen unserer Abhängigkeiten und Kontrolle…Vereinzelung von Menschen, die ihren Bezug zu anderen verlieren..

 

 

3.

Der Klimawandel hat zerstörerische Folgen für sehr viele Menschen und ihre natürlichen Lebensgrundlagen. Aber die „Menschheit“, auf die sich berufen wird, ist weder das kollektive Opfer und auch nicht das verursachende Subjekt

Die Opfer des Klimawandels sind die ganz zu Anfang angeführten Menschen, die schon lange an den Rand gedrängt wurden, weil ihnen die Mittel und Ressourcen genommen wurden, ihr Leben autonom zu bestreiten. Und andere Menschen sind es, die sie nach allen Regeln der Kunst ausbeuten – und dann sind noch die, die den Klimawandel verursacht haben, durch die rücksichtslose „Verheizung“ der fossilen Energieträger…

also: ich kann doch schon noch zwischen „Opfer“ und „Verursacher“ unterscheiden…ach ja, da sind da ja noch die Leute, die genug Geld haben , ein klimafreundliches Leben zu führen.. sie können sich mit ihrem guten bis sehr guten (Doppel) einkommen eine „grüne Weste“ kaufen….und mit ihren Appellen und für einen Wechsel der Autoritäten …. mit „grünen Kapitalismus mit „grüner Technologie“ das bestehende Wirtschaftssystem reformieren wollen und die Ressourcenknappheit und die sozialen Verhältnisse eigentlich nur ihren Vorstellungen anpassen wollen („Grüner“ halt)…durch autoritäres Durchgreifen und technokratische Lösungen –

4.

Was ist dagegen zu tun? Unter dem Vorwand des Klimaschutzes bzw. der Ressourcenknappheit werden wohl neue Gesetze erlassen mit dem Ziel der verstärkten (sozialen) Kontrolle … die Konflikte um die Ressourcen werden zu militärischer Aufrüstung führen (Szenarien sind wohl schon entwickelt)..und durch die räumliche Trennung von Opfern und Profiteuren des Klimawandels ist es manchmal schwierig, mit diesen Ausgeschlossenen praktische Solidarität zu entwicklen und aufrecht zu erhalten Klassenunterschiede werden auch hier in Europa, in Deutschland stärker heraustreten

aber dies ist gleichzeitig noch unsere Möglichkeit des Handelns hier:

durch den globalen Charakter können wir zumindest heute das Leben von anderen und uns retten — durch direkte Aktionen:

bei den hier ansässigen Profiteuren,

beim Verknüpfen von Kontakten über den Stadtteil und die Stadt hinaus

durch Blockieren der Warenströme

(richtigen)Streiks in der Produktion…..(holen wir uns die Arbeiter*innen ins Boot.. weg von dem Image des „weissen Bildungsbürger“)

und vor allem selbstorganisiert bleiben, keine neuen Hierarchien entstehen lassen und durch bestehende Hierarchien (Institutionen, Parteien usw) „wegschmeicheln“ lassen. –

Weitere aktuelle Möglichkeiten wie: Öffentlichen Nahverkehr stärken, Strassen und Plätze zurückholen usw. sind Aktionen und Ideen, die auf dieser Seite ja schon diskutiert werden und durchaus auch in diesen Zusammenhang gehören

Also, vielleicht ist der Klimawandel nicht aufzuhalten, aber gegen die aktuellen und künftigen Folgen können wir noch einiges tun