„Frei sein wird jedes Herz und Gehirn“ – David Edelstadt ( 9.Mai 1866) und die Sweatshopdichter

https://archive.org/details/DavidEdelstadtUndDieSweatshopdichter

(Die Radiosendung zum Text)

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über die Arbeit und Mühe eines anderen,
Frei wird sein jedes Herz und Gehirn,
Das ist Anarchie
Eine Welt in der Freiheit jeden beglückt,
den Schwachen den Starken „ihn“ und „sie“
wo „deins“ und „meins“ keinen unterdrücken wird
Das ist Anarchie

(David Edelstadt)

Mit 12 Jahren schrieb David Edelstadt seine ersten Gedichte. Geboren in Kaluka, im Westen Russlands, lernte er Schreiben und Lesen als „Kantonist“ bei der russischen Armee. Ein Dekret des Zaren verpflichtete alle männlichen Kinder von Militärangehörigen von 12 – 25 Jahren in spezielle Kantonschulen, später „Garnisonsschulen“ genannt.

Diente die verstärkte Verpflichtung der männlichen Juden offiziell als „Integration“, war sie in Wirklichkeit eine mit Zwang und Gewalt ausgeübte „Aushebung“ und brachte ihnen nicht mehr Rechte als zuvor.
Zu dieser Zeit, 1878, war der Hass gegen die jüdische Bevölkerung wieder gestiegen. Eine slawophile Bewegung, der u.a. auch Dostojewski angehörte, kramte als Propaganda wieder eine „Ritualmord“ Legende hervor und behauptete weiterhin, dass die Juden fremde Eindringlinge seien, die das russische Leben zersetzen wollten. Vor allem zwischen 1881 und 1882 geschah eine Vielzahl von Pogromen.

„Wir werden gehasst und getrieben
Wir werden geplagt und verfolgt
Und alles nur, weil wir das
arme schmachtende Volk lieben

Wir werden erschossen, gehangen,
Man nimmt uns das Leben und das Recht
Und nur, weil wir die Wahrheit verlangen
Und Freiheit für den armen Knecht…. „

Nachdem David einem Pogrom in Kiew entkommen konnte, wanderte er 1882 nach New York aus, wo er sich der ersten jüdisch-anarchistischen Gruppe „ Pioniere der Freiheit“ anschloss. Diese Gruppe, literarisch und rednerisch herausragend, machten in dem vorwiegend jüdischen Teil von New York, der Lower East Side, ne Menge Dampf.

So unterstützen sie vehement die angeklagten Haymarketanarchisten in Chicago und verbreiteten Propaganda unter den immer zahlreicher werdenden jüdischen Emigranten. Diese Propagandaarbeit führte zu weiteren Gründungen anarchistischer Gruppen, unter anderem in Boston und Philadelphia, wo David Edelstadt und andere von den „Pionieren“ zu Vorträgen reisten.

Die „Pioniere der Freiheit“ brachten 1889 ihre erste Zeitung heraus, die „ Wahrheit“, in denen David Gedichte in jiddisch veröffentlichte und sie bei den wöchentlichen Vorträgen und Diskussionen vorlas.
Nach „Die Wahrheit“ erschien kurzzeitig der „Morgenstern“ – daraus entstand die „Freie Arbeiterstimme“. David wurde Mitarbeiter, danach Chefredakteur.

Die „Freie Arbeiterstimme“ erschien 1890 zum ersten Mal. Der Titel wurde sowohl in Jiddisch als auch in Deutsch und Englisch auf dem Titelblatt vermerkt. Erst 1977 wurde sie eingestellt.

„http://youtu.be/vXlzdwGJ7OA“>(4teiliges Filmdokument zur „Freien Arbeiterstimme“ – englischsprachig)

David Edelstadt gehörte mit Morris RosenfeldMorris Winchevsky und Joseph Bovshover zu den „Sweatshopdichtern“, die als die erste Schule der jiddischen Poesie bezeichnet wird und deren Gedichte, in Musik gesetzt, bei Kundgebungen jüdischer Arbeiter*innen gesungen wurden

„Sweatshops“ im englischen Sprachgebrauch für „Ausbeuterbetriebe“ sind exakt das, was der Name sagt. Fabrikarbeit mit sehr geringem Lohn und miesen Arbeitsbedingungen . Die „Sweatshopdichter“ arbeiteten damals mit vielen anderen 12 Stunden und mehr in Schneiderbetrieben, David dabei als Knopflochmacher.

…..No seltn, seltn se ich ihm,
Majn Schejnem, wenn er wacht.
Ich tref im imer schlofndik,
Ich se im nor bajnacht.
Di Arbet trajbt mich fri arojss,
Un lost mich schpet zurik.
Oj fremd is mir majn eign Lajb,
Oj, fremd, majn Kind’s a Blik.
…….
(Morris Rosenfeld: Mein Jingele)

Heute finden wir solche Fabriken in Asien und als „Maquiladoras“ genannte Betriebe in Lateinamerika, vor allem in Mexico.

 (Morris Rosenfeld)

„http://youtu.be/Er76inuWZS8″>

(Mein Ruheplatz)
Don‘t look for me where myrtles are green.
You will not find me there, my beloved.
Where lives wither at the machines,
There is my resting place.

Don‘t look for me where birds sing.
You will not find me there, my beloved.
I am a slave where chains ring,
There is my resting place.

Don‘t look for me where fountains spray.
You will not find me there, my beloved.
Where tears flow and teeth gnash,
There is my resting place.

And if you love me with true love,
So come to me, my good beloved,
And cheer my gloomy heart
And make sweet my resting place.

In ihren Gedichten drückten sie ihre Solidarität mit anderen Arbeitenden und den Wunsch nach revolutionärer Veränderung aus, wie z.b. in „Revolution“ von Joseph Boshhover

„http://www.dickgaughan.co.uk/songs/mp3s/revolution.mp3″> (Interpret: Dick Gaughan)

Ein weit verbreitetes und beliebtes Lied war „Im Kampf“ von David Edelstadt und wurde neben seinem anderen Lied „Arbeiterinnen“ in den Streikbewegungen des zaristischen Russlands gesungen

Shmidt undz in ayzerne keytn,
Vi blutike khayes undz rayst;
Ir kent undzer kerper nor teytn
Nor keyn mol undzer heylikn gayst.

David erkrankte bald darauf an Tuberkulose und musste seinen Arbeitsplatz aufgeben. Am 17.Oktober 1892 starb er im Alter von 26 Jahren.

Die „Freie Arbeiterstimme“ schrieb über ihn: „ David Edelstadt war ein feiner, idealistischer Mensch, ein geistiger Sturmvogel, dessen Lieder der Revolte von jedem jiddisch sprechenden Radikalen geliebt wurde. „

Ir kent undz dermordn, tiranen,
naye kemfer vet brengen di tsayt;
Un mir kemfn, mir kemfn biz vanen
Di gantse velt vet vern bafrayt.

(David Edelstadt: Im Kamf)

„http://youtu.be/OkIe5D0bM74″> (Eine Version von „Im Kamf“ — leider in anderen Versionen mit Leninportraits regelrecht „missbraucht“)


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