„Die Löwin des Südens“ (Michelina de Cesare) — Arbeiter*innen der Nacht, Teil 2

“ Meglio na buona morte ca na mala vita . “—- Lieber einen gutenTod als ein schlechtes Leben.“

 

    

 (Brigantessas)

Im italienischen Sprachgebrauch wird ganz klar unterschieden zwischen „Briganti“ und „Banditi“.
Banditen waren (und sind) einfach Räuber, die für ihren Eigennutz handeln und vor keine(r) Person dabei halt machen, dabei auch ihre Macht und Einfluss nutzen. So gelten (nicht nur) für die meisten Italiener*innen Politiker generell als Banditen, oder Bosse, die ihnen Bestechungsgelder geben, Millionen hinterziehen, durch Steuervorteile oder durch die Auspressung der Arbeiter*innen.
Sie stehen dabei in der Tradition der lokalen Adligen, der herrschenden Barone des 16.-18.Jahrhunderts.

Die Briganten (brigare = kämpfen, streiten) waren darauf die militante Antwort.

 

 

Am 17. März 1861 konstitutierte sich das Königreich Italien als Ergebnis des so genannten „Risorgimento“, ein Unabhängigkeitskrieg, der vor allem vom Piemont (Königshaus Savoyen)und dem liberalen Bürger*innentum (Bourgeoisie und Adel vorwiegend im Norden Italiens) getragen wurde. Die Briganten, verarmte oder landlose Bauern, Tagelöhner, Hirten und Handwerker, ,die im Süden Italiens schon gegen die Macht und Willkür der Großgrundbesitzer gekämpft hatten, unterstützen in dieser Unabhängigkeitsbewegung vor allem die Truppen Garibaldis in der Hoffnung, daß sich die sozialen Verhältnisse für sie ändern.
Doch schnell war klar, daß die neue Regierung unter Viktor Emmanuel II. noch verstärkter als zuvor lediglich die Interessen der Bourgeoisie und der Grossgrundbesitzer befriedigte. So konnten letztere nicht nur ihre Gebiete behalten, sondern bekamen durch die Privatisierung staatseigener Grundstücke noch einen Batzen dazu. Zwangsrekrutierungen und Steuererhöhungen trieben dazu immer mehr Menschen zu den Briganten. Das Italien, das sie sich durch Garibaldi und Mazzini erhofft hatten, wo die Besatzer vertrieben und soziale Reformen (vor allem eine dringend benötigte Landreform) möglich sind, war für sie ein Italien geworden, daß von den französischen Savoyern (Piemontesen) beherrscht und von Adel und Bourgeoisie durchgesetzt wurde. 
Süditalienischer Autonomismus mischte sich mit Klassenkampf.

Wehe den Mächtigen, wenn die Menschen die Kraft erkennen, die in ihren Händen steckt, wehe den Unterdrückern, wenn die Unterdrückten erfahren, welche Rechte und Pflichten sie haben. “ (Brigant Carmine Crocco)

Einem Klassenkampf, der von den einen in verzweifelten Aufständen von den anderen in unvorstellbarer Barbarei geführt wurde. Tief im Bewusstsein bleiben die Massaker vom 14.August 1861 als von den Regierungstruppen die beiden Dörfer Pontelandolfo und Casalduni dem Erdboden gleichgemacht wurden, als eine Bestrafungsaktion für 45 Soldaten, die bei der Niederschlagung eines Aufstandes getötet wurden.
Zuerst entlud sich der Zorn der Truppen auf das Dorf Pontelandolfo, egal ob die Bewohner*innen am Aufstand teilgenommen hatten oder nicht – erschlugen, erstachen, vergewaltigten, erschossen, verbrannten innerhalb weniger Stunden Tausende der Einwohner*innen, die Häuser ausgeplündert und niedergebrannt. Es hatte den Charakter einer Strafaktion, wie Kolonialmächte sie durchzuführen pflegen,wenn ihnen der Gehorsam verweigert, wenn ihnen Widerstand entgegengebracht wird.

 

 

1863 wurden Aktionen wie die beiden Massaker Gesetz. Mit dem „Pica “ Erlass konnten nun auch Familienangehörige von gesuchten Briganten bestraft werden oder blosse Verdächtige.
Massenerschiessungen und Abbrennen von Dörfern waren nun tägliche Praxis. Historiker*innen sprechen von etwa 14 000 ermordeten Brigant*innen bzw. angeblichen Brigant*innen.

Die italienische Nation baute sich auf Tribunale, Razzien, Deportationen , Konzentrationslager und Hinrichtungen auf.

Die Briganten kamen nicht nur aus den Dörfern des Südens, sie wurden auch von dort unterstützt. Die einzelnen Familien halfen nach besten Kräften, Denunziationen fand so gut wie nie statt.(Die wenigen waren um so folgereicher, dazu später). Es gab hier keinen Mittelstand, kaum Geschäftsleute, nur ein Oben und Unten.So etwas wie „wissenschaftliches“ Klassenbewusstsein gab es allenfalls bei einigen Brigantenführern, alle handelten aus einer persönlichen direkten Situation heraus – ohne Land ohne Arbeit – und einem Gefühl der sozialen Ungerechtigkeit.

Besonders hart traf es die jungen Frauen. Hatten sie Arbeit, wurden sie um ein vielfaches schlechter bezahlt. Uneheliche Schwangerschaften wurden bestraft. Oft mussten dabei die jungen Frauen ihren mageren Besitz den Gerichten geben und wurden polizeilich des Dorfes verwiesen. So gingen viele von ihnen zu den Brigantengruppen, wurden eine „Brigantessa
In der offiziellen italienischen Geschichte tauchen sie nur als Liebhaberinnen der Bandenführer oder als Teil der Familie auf wie es auch mit den kämpfenden Frauen in der Mexikanischen Revolution und anderswo geschah. Dabei können wir durchaus von einer gleichberechtigten Rolle in den einzelnen Gruppen sprechen. Sie waren wie die Männer gekleidet und wie die Männer bewaffnet. Angebliche Frauendienste wurden oft auch oder nur von den Männern erledigt.

Die wohl bekannteste war Michelina de Cesare. Am 28.Oktober 1841 in Caspoli(Region Kampanien) in eine dieser zahllosen ärmlichen Haushalte geboren, wurde sie früh durch Diebstähle „aktenkundig“.
1861 schloss sie sich einer Brigantengruppe um
 Francesco Guerra an, bekommt bald eine eigene Waffe und wird eine der führenden und schillernden Figuren in der Gegend um Kampanien. Ihre Gruppe bestand aus 20 Briganten, dabei zwei Frauen , die oft mit drei oder vier Leuten Guerrillaktionen gegen die lokale Bourgeoisie, aber auch gegen Polizei und Militär durchführten. Raubüberfälle, Diebstähle und Entführungen gehörten dazu wie Sabotageakte, die Michelina oft auch mit ihrem Bruder durchführte.

 

 

Michelina wird mehr und mehr zu einer lebenden Legende – gern lässt sie sich in ihrem Versteck fotografieren, posiert in der traditionellen Tracht einer Bäuerin, mit einem Gewehr bewaffnet. Richtig berühmt wurde sie, als es ihr gelingt, das von Carabinieri besetzte Dorf Galluccio durch einen einfachen Trick zu erobern. Die Gruppe – als Soldaten verkleidet – täuscht einen Gefangenentransport vor.
Sieben Jahre lang kämpft ihre Gruppe gegen lokalen Adel, staatliche Ordnung und Obrigkeit.
Die Carabinieri hassen sie – und suchen sie.
Durch einen Informanten gelingt es ihnen, den Ort des nächsten Aufstandes zu lokalisieren.

Am 30.August 1868 versammelt sich eine Gruppe von Carabinieri und Nationalgardisten an den Hängen des Monte Lungo, in der Nähe des Ortes Mignano. Unter den Blitzen eines starken Gewitters erkannten sie die Rebell*innen, gegen zehn Uhr nachts überfielen sie dann das ahnungslose Lager und massakrierten fast alle Aufständischen.
Mit Michelina hatten sie noch was anderes vor. Sie wird gefoltert, massenvergewaltigt, dann erschossen. Ihre nackte und verstümmelte Leiche wird im nahegelegenen Dorf als Warnung ausgestellt. Doch der beabsichtigte Effekt – Einschüchterung und Abschreckung – trat nicht ein.
Die Umstände ihrer Ermordung und die in Umlauf gebrachten Fotos von ihrem Körper mobilisierten noch mehr Menschen, sich den Brigantengruppen anzuschliessen.

Michelina de Cesare wurde in ihrem Leben 27 Jahre alt aber bleibt im Bewusstsein der Menschen des „Mezzogiorno“ unsterblich.

 

  •  

Video: „Das Lächeln der Michaela“  …

 

 

 


Comments are closed.