Jan 27 2021

Die verachteten Opfer

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Nicht nur zum Gedenken am 27.Januar

Schwarzer Winkel ( und Co.)

– Eine Einführung –

von stoergeräusch schwerin (w.h.)

Früher als im Rest des Landes gelangten die Nationalsozialisten 1932 in Mecklenburg-Schwerin an die Macht. Als äusseres Zeichen wurde dann der Platz vor dem Justizgebäude — bis da: Königsbreite – zuerst in Adolf Hitler dann in Blücherplatz umbenannt. Die Nazis veränderten aber auch den Charakter des Justizwesens. Eine der Einrichtungen waren die Sondergerichte, die im Laufe der Herrschaft ihre Befugnisse weiter ausbaute mit z.B. Verordnungen gegen „Volksschädlinge“….dieser Begriff ersetzte die Bezeichnung“asozial“, die bis dahin das Denken in Deutschland prägte

Die Bezeichnung „asozial“ war und ist die übliche Bezeichnung für die als „minderwertig“ eingestuften Menschen, die nach Ansicht der tonangebenden Gesellschaftsschichten nicht oder nur ungenügend arbeiten oder unangepasst leben – scheinbar unfähig zur Eingliederung.

Der Tod ist ein Meister aus Deutschland

Gemäß einem Grunderlass zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung vom Dezember 1937 konnten die „Asozialen“ im Rahmen dieser Prävention in ein Konzentrationslager eingeliefert werden. Durch die Aktion“ Arbeitsscheu Reich“ kam es 1938 zu Massendeportationen, oft mit tatkräftiger Unterstützung der Arbeits- und Fürsorgeämter.

Als „Asozial“ galten u.a. : Bettler, Körperbehinderte, Denunziantenopfer, Wohnungs- und Obdachlose, Aufsässige, Wanderarbeiter, Legastheniker, Roma und Sinti, weibliche Homosexuelle, Waisen, Prostituierte, Zwangsprostituierte, Frauen mit wechselnden sexuellen Kontakten, Kleinkriminelle, ständige Nörgler, Menschen, die Armen oder gar KZ-Häftlingen halfen, Anarchisten, Gehörlose, Analphabeten, so genannte Arbeitsscheue, Bummelanten, Faule, Autisten, Stotterer, nicht „Reinrassige“, Volksschädlinge, Volksverräter usw.usw.

Stacheldraht – mit Tod geladen

Die so als „Asoziale“ Verschleppten wurden mit einem „Schwarzen Winkel“ auf der Häftlingskleidung markiert. Diese KZ-Insassen standen zusammen mit den männlichen Homosexuellen und den jüdischen Gefangenen am untersten Ende der Häftlingshierarchie.
Durch dieses System (der Kennzeichnung) waren die Gefangenen zum einen besser kontrollierbar, zum anderen wurde mit der Vergünstigung , einen anderen Winkel zu erhalten, KZ-Häftlinge zu Denunzianten und Spitzel angeworben

Auch – aber nicht nur in den genannten untersten Kategorien gab es dokumentierte Versuche interner Aufstiege.

Aber es waren nicht die Nazis, die das Wort „Asozial“ geprägt hatten.

Links zwei, drei ..“

Schon zuvor bei Sozialdemokraten und Kommunisten war die Arbeit heilig. Der Sinn der jeweiligen Arbeit wurde nicht hinterfragt. Vielleicht irgendwann im Paradies, aber auf Erden gings allein um Lohnerhöhungen und Arbeitszeiten

Nur die AnarchistInnen waren es, die dem von Marx/Engels geprägten Begriff der „Entfremdung der Arbeit“ nachgingen und im Diesseits zum Programm machten. Mit dem Niederkämpfen durch Unternehmer und Sozialisten verschwanden diese Fragen mehr und mehr aus der Arbeiterbewegung und die Arbeit wurde zur Ideologie. Wollte dann doch einer nicht arbeiten, so galt er bei den Kommunisten und Sozialisten als „asozial“, ja, die Kommunisten prägten das Wort „Lumpenproletariat“

Wer wirklich will, findet auch Arbeit“ diese heute ach so vertraute Aussage fand sich auch in den Gedanken und Aussagen der kommunistischen Arbeiterbewegung. Arbeit wurde mehr und mehr idealisiert.
Die so genannten „Helden der Arbeit“ dienten als Ansporn und Vorbild – kräftige Männer mit Hammer und Blick in die Zukunft gerichtet, an ihrer Seite die tüchtige Frau mit Sichel und Kopftuch. Selbst Schwerstarbeit wurde verklärt.

Menschen, die sich diesem entzogen, galten als „gemeinschaftsschädigend“, als „asoziale Schmarotzer“.

Die deutschen Faschisten ihrerseits mochten das Wort „Asozial“ nicht und versuchten es durch andere Begriffe zu ersetzen. Aus „Asozialen“ wurden so „Volksschädlinge“, die es zu vernichten galt –

Vernichtung durch Arbeit

– Begriff der im Nazi-Lager-System geprägt wurde. Gemeint ist die planmässige Tötung von Zwangsarbeitern oder Häftlingen durch Schwerstarbeit und mangelhafte Versorgung , oft 12 bis 16 Stunden Arbeit mit ungenügender medizinischer Versorgung, mit Folter und Misshandlungen bis hin zur direkten Ermordung.“

Der Einfluss der sogenannten Asozialen auf das Lagergeschehen war äusserst gering. Weder wurden sie von anderen Häftlingsgruppen unterstützt, noch entwickelten sie selber eigene Formen der Organisierung. In den Erinnerungen der anderen Überlebenden waren die vom „Schwarzen Winkel“ nur verachtet. Erst einmal in ein KZ eingewiesen, blieb ihnen nicht einmal die Hoffnung auf eine bessere Zukunft im Diesseits oder im Jenseits. Vor allem von den “Politischen“ wurden sie vehement abgelehnt. Hatten die „Politischen“ ihre Partei oder „ihre“ andere Welt als Hoffnung, so blieben die Asozialen nach Meinung der anderen nichts als ihr eigenes, von den Nazis als minderwertig eingestuftes selbstverschuldetes Leben.

Wir erinnern uns: als „Asoziale“ galten auch die, die nicht ordentlich gekleidet waren, oder weder die Nazi- noch die KPDZeitungen abonniert hatten, Jugendliche, die sich weigerten, der HJ beizutreten –also alle und jene, die den von den Nazis aufgestellten Normen nicht entsprachen.

Die Häftlinge mit dem „Schwarzen Winkel“ erlebten die gleiche gesellschaftliche Isolation und Diskriminierung wie in der Zeit zuvor und sollte sie bis in die heutige Zeit verfolgen.
In den Lagern wurden sie nicht als LeidensgenossInnen gesehen, sondern nur als Bedrohung.

Leichtes Spiel für die Nazis. Deren Ziel – die endgültige Beseitigung abweichenden Verhaltens.

Bildergebnis für schwarzer winkel

Männer sind sich alle gleich … „

Ein besonders grausames Schicksal – die Frauen mit dem „Schwarzen Winkel“. Zu ihnen zählten nicht nur homosexuelle Frauen oder Prostituierte, sondern auch Zwangsprostituierte. 33 000 Frauen wurden in den Bordellen der SS, der Wehrmacht und in den Lagerbordellen der KZs zu Zwangsprostituierten.
Viele dieser Frauen wurden nach sechs Monaten „Einsatz“ als „Geheimnisträgerinnen“ sofort ermordet. Die anderen kamen danach in einen Sonderbau des KZ Ravensbrück.

Ein gesonderte Gruppe der „Asozialen“ bildeten die Sinti und Roma. Sie wurden in so genannten „Familienlagern“ innerhalb der KZs in abgesonderten Blöcken untergebracht , häufig dem Prügeln und Foltern auch durch Lagerinsassen ausgeliefert. Alle Roma und Sinti erhielten bei ihrer Einlieferung in die Lager eine Häftlingsnummer in den Arm eintätowiert –damit waren sie ausnahmslos für die spätere Ermordung vorgesehen.

Nach der Befreiung aus den Konzentrationslagern 1945 betrug der Anteil der Häftlinge mit dem „Schwarzen Winkel“ je nach Lager etwa 10 bis 20 %. Danach hat sich keiner/keine ernsthaft um das Schicksal dieser Verfolgten gekümmert. Erst 1987 wurde sich einem Teil dieser Vergessenen wieder erinnert – hier der Roma und Sinti, den männlichen Homosexuellen (Inzwischen auch den Deserteuren und aktuell den weiblichen Homosexuellen- )

Alle anderen als „Asozial“ verfolgten Menschen werden heute weitestgehend „vergessen“(oder verdrängt) und/oder dienen weiterhin als das Negative, Abwertende, Diskriminierende in der Gesellschaft.

Zurück nach Schwerin: „…Um die „Reinigung des Volkskörpers“ von innen heraus voran zu treiben, ließ das Erbgesundheitsgericht am Demmlerplatz in den Heil- und Pflegeanstalten am Sachsen- und Lewenberg „minderwertige“ Menschen zwangssterilisieren. Für derlei Eingriffe standen in Mecklenburg 14 Krankenhäuser zur Verfügung, vier davon in Schwerin. Mehr als 900 Menschen mit geistigen oder körperlichen Behinderungen, psychisch Kranke, Alkoholiker oder so genannte „Asoziale“ wurden in Schwerin durch eine Überdosierung von Veronal, Luminal oder Morphium im Essen oder durch eine Injektion getötet. Unter ihnen befanden sich auch 100 Kinder, die zwischen 1941 und April 1945 unter der Leitung von Dr. Alfred Leu ermordet wurden. ..

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All diesen gilt es (nicht nur) heute zu gedenken. Ein Gedenken, das hineinragt auch in den aktuellen Alltag … möge das System heute eine andere Struktur haben und sich im alltäglichen öffentlichen Leben neu aufstellen, der „Schoss ist fruchtbar noch, aus dem das alles kroch“ es kleidet sich halt anders …. (s.a. „Unterschichten und Faulenzerdebatte“, „Klassismus“ etc.)

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Weiterführende Links:

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Weiterführende Links:

https://radiochiflada.blogspot.com/2017/12/die-verachteten-opfer-das-schwarze.html

https://radiochiflada.blogspot.com/2017/12/die-vergessenen-lager-teil-2-zu-die.html

http://hartmutstein.com/verbrechen.html


Jan 6 2021

„Die Löwin des Südens“ (Michelina de Cesare) — Arbeiter*innen der Nacht, Teil 2

“ Meglio na buona morte ca na mala vita . “—- Lieber einen gutenTod als ein schlechtes Leben.“

 

    

 (Brigantessas)

Im italienischen Sprachgebrauch wird ganz klar unterschieden zwischen „Briganti“ und „Banditi“.
Banditen waren (und sind) einfach Räuber, die für ihren Eigennutz handeln und vor keine(r) Person dabei halt machen, dabei auch ihre Macht und Einfluss nutzen. So gelten (nicht nur) für die meisten Italiener*innen Politiker generell als Banditen, oder Bosse, die ihnen Bestechungsgelder geben, Millionen hinterziehen, durch Steuervorteile oder durch die Auspressung der Arbeiter*innen.
Sie stehen dabei in der Tradition der lokalen Adligen, der herrschenden Barone des 16.-18.Jahrhunderts.

Die Briganten (brigare = kämpfen, streiten) waren darauf die militante Antwort.

 

 

Am 17. März 1861 konstitutierte sich das Königreich Italien als Ergebnis des so genannten „Risorgimento“, ein Unabhängigkeitskrieg, der vor allem vom Piemont (Königshaus Savoyen)und dem liberalen Bürger*innentum (Bourgeoisie und Adel vorwiegend im Norden Italiens) getragen wurde. Die Briganten, verarmte oder landlose Bauern, Tagelöhner, Hirten und Handwerker, ,die im Süden Italiens schon gegen die Macht und Willkür der Großgrundbesitzer gekämpft hatten, unterstützen in dieser Unabhängigkeitsbewegung vor allem die Truppen Garibaldis in der Hoffnung, daß sich die sozialen Verhältnisse für sie ändern.
Doch schnell war klar, daß die neue Regierung unter Viktor Emmanuel II. noch verstärkter als zuvor lediglich die Interessen der Bourgeoisie und der Grossgrundbesitzer befriedigte. So konnten letztere nicht nur ihre Gebiete behalten, sondern bekamen durch die Privatisierung staatseigener Grundstücke noch einen Batzen dazu. Zwangsrekrutierungen und Steuererhöhungen trieben dazu immer mehr Menschen zu den Briganten. Das Italien, das sie sich durch Garibaldi und Mazzini erhofft hatten, wo die Besatzer vertrieben und soziale Reformen (vor allem eine dringend benötigte Landreform) möglich sind, war für sie ein Italien geworden, daß von den französischen Savoyern (Piemontesen) beherrscht und von Adel und Bourgeoisie durchgesetzt wurde. 
Süditalienischer Autonomismus mischte sich mit Klassenkampf.

Wehe den Mächtigen, wenn die Menschen die Kraft erkennen, die in ihren Händen steckt, wehe den Unterdrückern, wenn die Unterdrückten erfahren, welche Rechte und Pflichten sie haben. “ (Brigant Carmine Crocco)

Einem Klassenkampf, der von den einen in verzweifelten Aufständen von den anderen in unvorstellbarer Barbarei geführt wurde. Tief im Bewusstsein bleiben die Massaker vom 14.August 1861 als von den Regierungstruppen die beiden Dörfer Pontelandolfo und Casalduni dem Erdboden gleichgemacht wurden, als eine Bestrafungsaktion für 45 Soldaten, die bei der Niederschlagung eines Aufstandes getötet wurden.
Zuerst entlud sich der Zorn der Truppen auf das Dorf Pontelandolfo, egal ob die Bewohner*innen am Aufstand teilgenommen hatten oder nicht – erschlugen, erstachen, vergewaltigten, erschossen, verbrannten innerhalb weniger Stunden Tausende der Einwohner*innen, die Häuser ausgeplündert und niedergebrannt. Es hatte den Charakter einer Strafaktion, wie Kolonialmächte sie durchzuführen pflegen,wenn ihnen der Gehorsam verweigert, wenn ihnen Widerstand entgegengebracht wird.

 

 

1863 wurden Aktionen wie die beiden Massaker Gesetz. Mit dem „Pica “ Erlass konnten nun auch Familienangehörige von gesuchten Briganten bestraft werden oder blosse Verdächtige.
Massenerschiessungen und Abbrennen von Dörfern waren nun tägliche Praxis. Historiker*innen sprechen von etwa 14 000 ermordeten Brigant*innen bzw. angeblichen Brigant*innen.

Die italienische Nation baute sich auf Tribunale, Razzien, Deportationen , Konzentrationslager und Hinrichtungen auf.

Die Briganten kamen nicht nur aus den Dörfern des Südens, sie wurden auch von dort unterstützt. Die einzelnen Familien halfen nach besten Kräften, Denunziationen fand so gut wie nie statt.(Die wenigen waren um so folgereicher, dazu später). Es gab hier keinen Mittelstand, kaum Geschäftsleute, nur ein Oben und Unten.So etwas wie „wissenschaftliches“ Klassenbewusstsein gab es allenfalls bei einigen Brigantenführern, alle handelten aus einer persönlichen direkten Situation heraus – ohne Land ohne Arbeit – und einem Gefühl der sozialen Ungerechtigkeit.

Besonders hart traf es die jungen Frauen. Hatten sie Arbeit, wurden sie um ein vielfaches schlechter bezahlt. Uneheliche Schwangerschaften wurden bestraft. Oft mussten dabei die jungen Frauen ihren mageren Besitz den Gerichten geben und wurden polizeilich des Dorfes verwiesen. So gingen viele von ihnen zu den Brigantengruppen, wurden eine „Brigantessa
In der offiziellen italienischen Geschichte tauchen sie nur als Liebhaberinnen der Bandenführer oder als Teil der Familie auf wie es auch mit den kämpfenden Frauen in der Mexikanischen Revolution und anderswo geschah. Dabei können wir durchaus von einer gleichberechtigten Rolle in den einzelnen Gruppen sprechen. Sie waren wie die Männer gekleidet und wie die Männer bewaffnet. Angebliche Frauendienste wurden oft auch oder nur von den Männern erledigt.

Die wohl bekannteste war Michelina de Cesare. Am 28.Oktober 1841 in Caspoli(Region Kampanien) in eine dieser zahllosen ärmlichen Haushalte geboren, wurde sie früh durch Diebstähle „aktenkundig“.
1861 schloss sie sich einer Brigantengruppe um
 Francesco Guerra an, bekommt bald eine eigene Waffe und wird eine der führenden und schillernden Figuren in der Gegend um Kampanien. Ihre Gruppe bestand aus 20 Briganten, dabei zwei Frauen , die oft mit drei oder vier Leuten Guerrillaktionen gegen die lokale Bourgeoisie, aber auch gegen Polizei und Militär durchführten. Raubüberfälle, Diebstähle und Entführungen gehörten dazu wie Sabotageakte, die Michelina oft auch mit ihrem Bruder durchführte.

 

 

Michelina wird mehr und mehr zu einer lebenden Legende – gern lässt sie sich in ihrem Versteck fotografieren, posiert in der traditionellen Tracht einer Bäuerin, mit einem Gewehr bewaffnet. Richtig berühmt wurde sie, als es ihr gelingt, das von Carabinieri besetzte Dorf Galluccio durch einen einfachen Trick zu erobern. Die Gruppe – als Soldaten verkleidet – täuscht einen Gefangenentransport vor.
Sieben Jahre lang kämpft ihre Gruppe gegen lokalen Adel, staatliche Ordnung und Obrigkeit.
Die Carabinieri hassen sie – und suchen sie.
Durch einen Informanten gelingt es ihnen, den Ort des nächsten Aufstandes zu lokalisieren.

Am 30.August 1868 versammelt sich eine Gruppe von Carabinieri und Nationalgardisten an den Hängen des Monte Lungo, in der Nähe des Ortes Mignano. Unter den Blitzen eines starken Gewitters erkannten sie die Rebell*innen, gegen zehn Uhr nachts überfielen sie dann das ahnungslose Lager und massakrierten fast alle Aufständischen.
Mit Michelina hatten sie noch was anderes vor. Sie wird gefoltert, massenvergewaltigt, dann erschossen. Ihre nackte und verstümmelte Leiche wird im nahegelegenen Dorf als Warnung ausgestellt. Doch der beabsichtigte Effekt – Einschüchterung und Abschreckung – trat nicht ein.
Die Umstände ihrer Ermordung und die in Umlauf gebrachten Fotos von ihrem Körper mobilisierten noch mehr Menschen, sich den Brigantengruppen anzuschliessen.

Michelina de Cesare wurde in ihrem Leben 27 Jahre alt aber bleibt im Bewusstsein der Menschen des „Mezzogiorno“ unsterblich.

 

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Video: „Das Lächeln der Michaela“  …

 

 

 


Jan 4 2021

Die Arbeiter*innen der Nacht …. 1. Matthias Kneißl

„Ich kann mich nicht beugen „

Die „Arbeiter der Nacht“ nannte sich eine Gruppe um Alexandre Marius Jacob, die zwischen 1901 – 1903 wohl an die 1000 Einbrüche tätigten … beim Adel, Vertreter*innen der Industrie, Ausbeutern … finanziert wurden sozialrevolutionäre Organisationen , Arbeiter und ihre Familien…ein Teil wurde für weitere Aktionen gebraucht

https://syndikalismus.wordpress.com/2011/11/25/eure-brieftaschen-genugen-nicht-mehr/   (Radio Chiflado zu Alexandre Marius Jacob)

Arbeiter*innen der Nacht“ nennen wir deshalb unsere Serie von Frauen und Männern, die für die Herrschenden Banditen, Kriminelle, Räuber*innen waren — für die Beherrschten und Unterdrückten, die Armen und Ausgegrenzten aber oft zu sozialen Rebell*innen mystifiziert wurden und gefeiert, weil sie „zurückholten, was von einigen wenigen angeeignet worden war“ – und diesen damit den (sozialen) Krieg erklärten.
Es sind Frauen und Männer verschiedener Zeiten und Kontinente – wie Johann Breitweiser aus Österreich, Anny Bonny und Mary Read als Piratinnen gegen die großen Handelsflotten (und patriarchalischen Denkweisen) oder auch Michelina de Cesare als Brigantin in einem „Krieg der Armen“ gegen den sich bildenden Nationalstaat Italien.

Beginnen wollen wir aber mit Mathias Kneißl

 

Die Zeit und der Ort, in denen Matthias Kneißl am 12.Mai 1875 in einem Dorf im bayerischen Glonntal hineingeboren wurde, waren eine Welt der Umbrüche und des brutalen Kampfes um die tägliche Existenz. In dieser Zeit begann auch im Königreich Bayern die Industrialisierung, viele Tagelöhner strömten in die Städte, vor allem nach München.
Aber Bayern war auch ein Land, wo das Militärische in hohem Ansehen stand. Wer fürs Vaterland und den König getötet und gedient hatte, war hoch angesehen und hatte ausgesorgt. So trugen sie alle voller Stolz und Brutalität auch im Alltag ihre Uniformen: der Postbote, der Eisenbahner usw.
Der letzte Arm dieser Staatsmacht im Königreich war auf dem Land der Gendarm. Dieser kam meist vom aktiven Militär und sollte nun für „Ordnung“ und „Gesetzestreue“ sorgen, den Willen einer Herrschaft durchsetzen, die von den Bauern nur noch als schikanös empfunden wurde. Diese Gendarmen sorgten auch für die Durchsetzung der Interessen lokaler „Autoritäten“, ob Schlossherr, Pfarrer oder Lehrer und lagen so immer in Konflikt mit den Bauern, die mehr und mehr durch Landraub oder Betrug zu Leibeigenen geworden waren. Einen zuerst versteckten, dann später mehr und mehr offenen Krieg führten sie besonders mit Matthias Kneißl und seiner Familie.

I bi vo Weikatshofa/ I sags ganz unscheniert/ Mei Vata war a Müller/ Da Paschkoliniwirt/ Mei Muatta war a Zweigerl/ Vom Paschkolini-Kern/ Sie liabt bis heut no allerweil/ Die junga Burschn gern/ Mei Vata hat a Müllei pacht/ Vom Sulzemooserschloß./ Da oa hat gstohln a Schaferl/ Da hama öfters gschlachtlt/ Guate Fraßerl hots da gebn/ Das war hoit in da Schachamuihl/ A ganz a lustigs Lebn.“ (Kneißl-lied)

Der „Paschkolini-Kern“ ist Johann Baptist Pascolini, der 1831 in Unterweikertshofen im Landkreis Dachau geboren wurde und sich zu einem professionellen Einbrecher und Räuber entwickelte, und 1871 mitten am Tag aus der Strafanstalt München-Au geflohen war, wo er 18 Jahre hätte einsitzen müssen. Er wurde in Dezember desselben Jahres nach einem versuchten Einbruch von seinem Kumpel bei der Flucht –wahrscheinlich versehentlich –am Kopf tödlich getroffen. Seine Schwester Therese war die Mutter von Matthias Kneißl, die zusammen mit seinem Vater, einem ehemaligen Müllerlehrling und Schreiner eine Mühle in der Nähe von Unterweikertshofen betrieben.
Dort wurde wohl nicht nur mit Mehl gehandelt, sondern war auch beliebter weil lohnenswerter Treffpunkt von Wilderen und Dieben. Tote Hirsche brachten viel Geld.

Wildern war zu dieser Zeit eine tägliche Praxis, von fast allen in den umliegenden Dörfern betrieben oder zumindest toleriert. Kirchenraub allerdings nicht.

Im September 1892 wurde die Wallfahrtskirche in Friedberg ausgeraubt. Kelche, Kerzenleuchter und weitere Reliquien gestohlen! Welch ein Frevel ! Die Mutter, Therese, wird einige Tage später in München festgenommen, als sie einige der Gegenstände verkaufen will. Daraufhin stürmt die Gendarmerie die Mühle und verhaftet den Vater, der vergebens zu fliehen versuchte. Auf dem Weg zum Gefängnis in Dachau wird dieser so schwer verprügelt, dass er wenig später in der Gefängniszelle stirbt. Die bayerische Polizei war schon immer nicht sehr wählerisch in ihren Mitteln.

Der Vater tot, die Mutter in Untersuchungshaft, um den jungen Matthias kümmert sich anfangs keine(r). Mit seinem Bruder Alois streift er durch die Gegend, lebt von kleineren Diebstählen, ernährt seine Geschwister durch Wildern in den nahe liegenden Wäldern, die damals dem Baron von Schaezler gehörten – durch Betrug an den Bauern zum “Eigentümer“ geworden.

Auch der Dorfpfarrer, die gesetzliche Schulaufsicht, hielt die Kneißlbrüder an der Leine und die hieß: Schulzwang. Es war damals in Bayern üblich, dass die Kinder sieben Jahre in die Volksschule gehen mussten und anschließend drei Jahre in die so genannte „Volksfortbildungsschule.“ Diese war wöchentlich einmal, und zwar am Sonntag. Sie wurde deshalb auch „Feiertagsschule“ genannt. In diese Feiertagsschule musste nach seiner Entlassung aus der Volksschule auch der Kneißl Matthias gehen. In einem Zimmer eingesperrt, die Hände auf die Bank, die Augen nach vorne zum Lehrer*innenpult– oft genug waren die Kneißlbrüder dem entwischt.
Nun schickte der Pfarrer zwei Gendarmen los, um Matthias und Alois wieder in die Schule zu zwingen. Gendarmen – die die ihren Vater totgeschlagen hatten, Gendarmen, die verhassten Erfüllungsgehilfen von Königshaus, Großgrundbesitzern und Kirche.

Als die Polizisten am 2. November 1892 die Mühle betreten, werden sie von Alois und einem anwesenden Freund mit Gewehrfeuer empfangen, bleiben schwer verletzt liegen. Nach Tagen der Flucht werden Alois Kneissl und Joseph Schreck festgenommen, zu 16 bzw. 12 Jahren Zuchthaus verurteilt.
Zwei Wochen später wird Matthias Kneissl festgenommen. Obwohl er keine Schüsse abgegeben hatte, wurde er wegen Mordversuch, schwerem Diebstahl, Raub, Bedrohung und Jagdvergehen zu einer Gefängnisstrafe von sieben Jahren verurteilt.
Leute wie er hatten die sozialen Grenzen und die Ordnung des Königreichs Bayern zu akzeptieren – viel hat sich nicht bis heute dort geändert.

Matthias Kneissl muss die vollen sieben Jahre in lichtlosen Verliesen bleiben, physisch und psychisch angeschlagen geht er anschließend nach München, wo inzwischen seine Mutter wohnt.
Dort gelang es ihm nicht, längere Zeit eine Arbeit als Schreiner zu finden. Überall tauchten die Gendarmen auf und machten in großen Übertreibungen die Haft und die Gründe der Haft öffentlich.

Er antwortet mit Raubüberfällen, entwendet bei einem reichen Hopfenbauern Pfandbriefe. Bei dem Versuch, sie weiterzuverkaufen, wird er denunziert, kann aber flüchten – diesmal allerdings schießt er selbst. Zwei Gendarmen stehen nie wieder auf.

Nun beginnt eine regelrechte Hetzjagd. Im ganzen Königreich Bayern hängt sein Steckbrief. Er hatte nicht Bauern getötet, sondern Vertreter der Staatsmacht. Das Kopfgeld wird auf 1000 Mark erhöht. Telegramme gehen an die Polizeibehörden von Berlin, Frankfurt und Salzburg, an die Hafendirektionen von Bremen, Hamburg, Triest und Genua. Alls Hausierer getarnte Beamte durchkämmen das Land. Die Polizei sperrt Straßen und bewacht Kreuzungen, kreist Waldstücke ein und beschattet Kneißls Mutter in München. Aus dem Räuber wurde ein Staatsfeind .Im Frühjahr 1901 wird er dann von 70 Polizisten umstellt.

Zum Invalid‘n hab‘ns‘n g’schoss‘n, des is ja wohlbekannt/ Und daß’s an Hias‘l g‘fanga hab‘n, des woaß des ganze Land/ Auf da Bahre hab‘ns‘n transportiert, a 6 an 8 Schandarm/ des gibt ja in da Münchna Stodt an fürchterlichen Alarm.“(Kneißlied)

Am 5. März, in der Früh wird Schiessbefehl erteilt. Eine Stunde lang schießen die Gendarmen auf das Versteck, einen kleinen Bauernhof in Geisenhofen (Landkreis Fürstenfeldbruck), durchschlagen Fenster und Türen. Als sie das Haus stürmen, finden sie auf dem Dachboden den schwer verletzten Matthias, der keinen einzigen Schuss abgegeben hatte. Den rechten Arm und die linke Hand zerschossen, eine Kugel im Bauch, lag er zusammenkauert hinter einem Kamin. Auf dem Weg ins Krankenhaus wird er von den Polizisten geschlagen und getreten. Die Ärzte retten ihm das Leben – damit er vor Gericht gestellt werden kann. Vier Monate bleibt er in der Chirurgie in München.

Am 14.November 1901 beginnt der Prozess gegen Mathias Kneißl vor dem Oberlandesgericht in Augsburg

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Matthias Kneissl wird bis heute wie ein „Bayerischer Robin Hood“ gefeiert.
Geschenke an die Armen habe er gemacht, das Diebesgut geteilt. Oft geschah dies aber auch aus einer persönlichen Notwendigkeit. Die Verfolgung durch die bayerische Polizei, der Hass der Obrigkeit und das damit vermittelte Gefühl, in Bayern nicht gewollt zu sein, forderten Hilfe und Solidarität. Viele nahmen dadurch selber ein großes Risiko auf sich, denn wer einem polizeilich Gesuchten ein Nachtlager anbot, wurde selbst hart bestraft. Umsonst war es daher oft nicht, Kerzenleuchter oder Wild dann Kneissls Währung.

Aber dass er der Obrigkeit getrotzt hatte, sich angelegt hatte mit den „Betrügern da oben“, das Herz am rechten Fleck habe, imponierte vielen.

Die Gendarmen waren auf den oberbayerischen Dörfern unbeliebt. Denn viele von ihnen kamen aus Franken und Franken lag für sie in Preußen und sie verkörperten in ihrer brutalen und autoritären Art die „hohen Herren aus der Stadt“.
Postkarten wurden gedruckt, Flugblätter auf Kneissl, der der Polizei immer wieder entwischt war. In den Kneipen sangen sie Spottlieder auf die Polizei, Matthias Kneissl wurde so schon zu Lebzeiten zur Legende, ein Einzelkämpfer für die Gerechtigkeit.

Der Weg vom Gefängnis zum Justizpalast und der Platz davor waren dicht mit Neugierigen und sollte es die nächsten vier Tage bleiben. Das Urteil dann: Matthias Kneissl wird zum Tode durch das Fallbeil verurteilt. Sein Henker ist Franz Xaver Reichhard, dessen Neffe 1943 Widerstandskämpfer*innen der „Weißen Rose“ hinrichtet.

Es war an einem Montag, vor gar nicht so langer Zeit/ Die Vögel haben nicht gesungen, und die Glocken haben nicht geläutet/ Da haben sie Mathias Kneißl zur Hinrichtung gefahren/ Im Rollstuhl, denn in seinem Rücken steckten die Kugeln der bayerischen Gendarmen/“Die Woche fängt ja gut an“ / Und der Henker zog ihm die Kapuze über den Kopf / Doch der Mathias war kaltblütig / Denn er wusste, dass er bald in den ewigen Wald muss/
Wo er in Frieden mit seiner Frau und seinem Kind leben kann/ Wo er sich nicht mehr verstecken muss, wo ihn kein Polizist finden kann/ Wo die Wälder voll sind mit Hirschen, Hasen und Rehen/
Wo er sich etwas zum Essen schießen kann, wo er im See baden kann/ Wo er so leben kann, wie es ihm passt, ohne Pfarrer und Bürgermeist/ Wo er gehen oder laufen kann, wie es ihm gefällt/ Natürlich haben sich die Leute vor seinem rußgeschwärzten Gesicht gefürchtet/ Doch wer genau hinsah, wusste: das ist eine ehrliche Haut/ Auch wenn die Polizei herumerzählt hat: „Passt auf, der Mann ist gefährlich“ / Doch wer ihn kannte, wusste: der Mann ist gut, der Mann ist ehrlich/ Oft hat er die Reichen bestohlen/ Aber er hat das Geld nie behalten, er hat es den Armen und Alten gegeben/ Er war einer von den Alten und Echten/ Aber er wurde wie ein Hund gejagt/ Er war einer von den Alten und ganz Großen/ Und darum haben sie ihn 1902 zum Krüppel geschossen/ Er war einer von den Alten und Echten/
Aber sie haben ihn sein Leben lang wie einen Hund gejagt/ Den Mathias Kneißl“
 (Georg Ringswandl – hier in einer hochdeutschen Übersetzung)

 

 

Ich kann kein Unrecht leiden. Ich kann mich nicht beugen, lieber geh ich selber zu Grunde“ waren die letzten Worte von Matthias Kneissl. Wir finden sie in Verfilmungen, in Erzählungen und Texten über ihn.