Jul 25 2020

Der „libertäre Kommunalismus“ —(Alternativen zur repräsentativen Demokratie und Staat )

 

 

Einleitung und Grundsätzliches

Einen Tisch kann man umwerfen und eine Fensterscheibe zertrümmern; aber die sind eitle Wortemacher und gläubige Wortanbeter, die den Staat für so ein Ding oder einen Fetisch halten, den man zertrümmern kann, um ihn zu zerstören.
Staat ist ein Verhältnis, ist eine Beziehung zwischen den Menschen, ist eine Art, wie die Menschen sich zueinander verhalten; und man zerstört ihn, indem man andre Beziehungen eingeht, indem man sich anders zueinander verhält.“  (Gustav Landauer)

Der „Kommunalismus“ durchbricht die gegebene repräsentative „Demokratie“ und will den öffentlichen Bereich für die jeweilige Bevölkerung durch direkte Beteiligung zurückholen – durch kleine Einheiten der Gesellschaft, die so genannten „Kommunen“ (die sich in Föderationen organisieren.) 

Diese „Einheiten“ können ein Dorf oder eine Stadt sein, da wo wir leben, lieben und arbeiten, wo Menschen dieses Dorfes oder der Stadt zusammenkommen, um gemeinsam über ihr Angelegenheiten zu entscheiden.Diesen Entscheidungen geht natürlich eine Diskussion voraus, um alle Betreffenden /Betroffenen über das entsprechende Thema zu informieren und damit dann eine für alle in Übereinstimmung mit ihrem Wissen und Befinden eine Entscheidung im Konsens zu finden, also mit der alle einverstanden sind.

Das Konzept sieht also eine wachsende Bewegung, ein gemeinsames Lernen, und ein „Absterben“ der alten Strukturen vor …..

 
 Die Idee des Kommunalismus bildete sich wohl zu Beginn des 19.Jahrhunderts aus der Kritik am bürgerlichen Staat und an der Wirtschaft wo es mehr und mehr ein Unbehagen gab, dass“ eine fremde Kraft sich über die Beziehungen erhebt, ihren Lebenszusammenhang ausbeutet“ und von daher zu „einer Macht der Emtfremdung wird“..(Staat)..es ging also um das Erkennen bzw. Zurückgewinnen der eigenen Handlungsfähigkeit, der eigenen Identität jenseits der des /der „Staatsbürger*in“ und dem Nationalismus….als Stätte des gemeinsamen Lebens bieten sich die Dörfer und Städte geradezu an, neue Strukturen zu erfahren, erleben und zu erproben …der Kommunalismus sieht vor, dass die jeweiligen Kommunen durch die Bürger*innenversammlungen und ihren Delegierten in den föderalen Versammlungen gebildet werden… ob ökologische, ökonomische, sozio-kulturelle Fragen werden dort in und durch die Praxis benannt und beantwortet.

Der Kommunalismus ist nicht, wie der „Munizipalismus“, die Alternative, nun Stadtparlamente zu erobern, sondern diese zu demokratisieren, in dem sie (die Stadtparlamente bzw. Vertretungen) in öffentliche Versammlungen aufgehen, sich föderal vernetzen und eine regionale Ökonomie entwickeln, die der Organisationsform des Kommunalismus entspricht. 

 
Auch wenn die griechischen Stadtstaaten nur begrenzt für einen Vergleich taugen,hatten sie neben Schulen, Büchereien und Theater auch Marktplätze für öffentliche Versammlungen, wo sich die Bürger getroffen hatten, um Gesetze zu erlassen und über „Staats“angelegenheiten selbst zu entscheiden. 
 Es klingt selbst für Menschen, die der zentralisierten Macht des Staates Alternativen gegenüberstellen sollen,das Konzept des „Kommunalismus“ wie ein nicht erfüllbarer bzw. umsetzbarer Traum. Aber immer haben Menschen zusammen in kleinen oder grösseren Zusammenhängen versucht, dies zu verwirklichen…als Alternative zur Zerstörung von Gemeinschaften der Dörfer und Städte und als positives befreiendes Moment gegen die „grosse Revolution“ oder „der endgültige Weltuntergang“ das Projekt einer „sozialen und kommunitären Erneuerung“ anzugehen…diese Beispiele als Impulse dafür zu benennen, wie es funktioniert hat bzw. funktionieren konnte und…übertragen auf heute.. funktionieren kann!
 
 „Es ist nicht Liebe und auch nicht Sympathie, worauf die menschliche Gemeinschaft beruht. Es ist das Bewusstsein – und sei es nur in dem Entwicklungsstadium eines Instinkts -von der menschlichen Solidarität“  (Janet Biehl)



 
 Ob es die Gilden waren, die sich in der mittelalterlichen Stadt entwickelten, die eine der wichtigsten kommunalen Institutionen darstellten, die Comuneros im Spanien des 16.Jahrhunderts, die (nord)amerikanischen Städtversammlungsbewegung, die Pariser Sektionsversammlungen um 1790 und die Pariser Kommune selbst, die Madrider Bürgerbewegung in den 1960er—immer wieder tauchte der „Kommunalismus“ dann als Bewegung von unten auf, wenn Menschen etwas verändern wollen – ungeachtet aller radikalen Dogmen ….er speist sich nicht aus den „Klassen“fragen , er beansprucht für sich, eine Antwort auf ein umfassendes Verhalten zu Umwelt, Wachstum, Unterkunft und Versorgung zu finden, indem er die Menschen in Räten, Versammlungen zusammenbringt, ungeachtet ihrer (auch beruflichen) Herkunft und Interessen – etwas was dem proletarischen Sozialismus z.b. nicht gelungen war ..als einzige oben schon geäusserte Alternative zu (National)staat durch eine neue Politik, die wirklich von den Bürger*innen ausgeht.
 
 In den nächsten Texten will ich ein wenig näher auf die Möglichkeiten des „Kommunalismus“ eingehen, ihre Stärken aber auch ihre Schwächen ( aus den schon gelebten Beispielen) , vor allem auf die Erfahrungen heute in einigen Gebieten,aus der er sich entwickeln kann, wie
 
  ArbeiterInnen- und Wohnungs- Kooperativen, selbstverwaltete Betriebe, Betriebs- und Nachbarschaftsversammlungen, Kreditgenossenschaften, , lokale Lebensmittelproduktion, lokale Betriebe, die Förderung von öffentlichen Verkehrsalternativen zum Auto usw….
 
aber auch auf die Gefahren, die bei dem Herausbilden einer „öffentlichen politischen Sphäre“auftreten können. 

Jul 25 2020

“ Zu streiken bedeutet die Produktion zu übernehmen.“ – Lucy Parsons und die Geschichte des 1.Mai

 
Lucy Parsons wird heute weiterhin vorwiegend als die „Witwe von Albert Parsons“ wahrgenommen, einem der Anarchisten, die im November 1887 hingerichtet wurden. Einige, ein wenig mit der persönlichen Geschichte von Lucy Parsons vertraut, sehen in ihr eine vermeintliche (spätere) Mitarbeiterin der Kommunistischen Partei der USA.
Dabei war sie schon Jahre zuvor eine der Aktivisten in der Organisierung der Arbeiterinnen und deren Kämpfe, begann da schon Artikel über „soziale Gerechtigkeit“, Arbeits- und Obdachlosigkeit (siehe dazu den bekanntesten Artikel „To Tramps“, wo sie sich für „direkte Aktionen“ ausspricht). Sie gilt in der Geschichte der (nord)amerikanischen anarchistischen Arbeiterbewegung und den „Anarchist People of Color“ als eine ihrer bemerkenswertesten Protagonistinnen und war für die Polizei in Chicago „gefährlicher als 1000 Randalierer“.
Wenig ist über die ersten Jahre ihres Lebens bekannt. Als Tochter einer Mexikanerin und eines Angehörigen des Creek-Stammes 1853 (?) in Texas geboren ( ihre Eltern waren sehr wahrscheinlich Sklaven) wuchs sie die nächsten Jahre wohl auf der Farm ihres Onkels mütterlicherseits auf –in einer offen rassistischen Gesellschaft wechselte sie oft ihren Familiennamen, nannte sich vorwiegend Lucy Gonzales und verdeckte damit ihre afroamerikanischen Wurzeln.
1870 begegnete ihr Albert Parsons, ein ehemaliger Soldat der Konföderierten, Abolitionist und radikaler Republikaner, der zu dieser Zeit als Journalist des „Daily Telegraph“ den Nordwesten von Texas bereiste.
Doch ein gemeinsames Leben ist ihnen in diesem Teil der USA verwehrt. Es herrschte auch per Gesetz Rassentrennung „Mischehen“ wurden nicht geduldet. Als sich Albert für die Registrierung schwarzer Wähler*innen einsetzt, wird er angeschossen, der Klan droht mit Lynchjustiz.
1873 ziehen Lucy und Albert Parsons nach Chicago, wo Albert als Drucker für die „Chicago Mail“ arbeitet.
 
                    (Kinder beim Kohlesammeln in den Arbeitervierteln von Chicago – um 1900)
 
In dieser Zeit einer wirtschaftlichen Depression mit Millionen von Erwerbslosen wuchs der Druck auf die Arbeiter*innen sich gegen niedrige Löhne zu verkaufen oder den vielen Einwanderern den stark umkämpften Arbeitsplatz zu überlassen. Die Bevölkerung von Chicago verdoppelte sich in diesen Jahren durch den Zuzug junger Landarbeiter und europäischer Einwander*innen. Viele fanden Arbeit in den Fertigungsanlagen, mit einer Arbeitszeit von 12 Stunden und mehr. Untergebracht in Billigwohnungen, eher einer Holzbox ähnlich, wuchsen im Westen der Stadt die Slums. Unter den Augen der ihnen feindlichen Vorarbeiter, die sie zu immer schnellerem Tempo antrieben, um die endlose Nachfrage nach Fleisch, Holz und Maschinen zu befriedigen. Die Zahl der Ungelernten stieg, die Arbeitslöhne sanken täglich. Aber mit den Einwanderern kam auch die sozialistische und anarchistische Ideologie in die USA und die Arbeiter*innen radikalisierten sich.
Im Oktober 1877 fand einer der größten Streiks in der Geschichte der USA statt. Eisenbahner im ganzen Land protestierten gegen weitere Lohnkürzungen der Baltimore Ohio Railroad. Bald streikten sie auch in Chicago, griffen auch zu militanteren Aktionen. Da entgleiste mal ein Gepäckwagen, dort wurde sich mit der Polizei geprügelt.
Albert Parsons engagierte sich so stark in diesem Streik, dass er bald seine Arbeit bei der Zeitung verlor und als „Arbeiteragitator“ auf die schwarze Liste gesetzt wurde. Lucy eröffnete daraufhin ein Kleidergeschäft, um ihre wachsende Familie finanziell über die Tage zu bringen. Sie unterstützt in dieser Zeit mit anderen Frauen die Organisation „WWU“ (Workers Women Union) in Chicago – dabei auch Lizzie Swank Holmes, zu der sich eine intensive Freundschaft entwickelt, so unterschiedlich ihre Herkunft auch sein mochte.
Hier die Tochter von Sklaven, dort eine junge Frau aus dem eher ländlichen Iowa, aufgewachsen in einer Familie von Freidenkern mit dem damals typischen Karrieweg, Lehrerin in einer ländlichen Schule, dann frühe Heirat, Geburt von zwei Kindern. Wenige Jahre später, nach dem Tod des Ehemannes, unterrichtet sie Musik und vernimmt die Schwingungen der Streiks und der radikalen Arbeitskämpfe. Mit ihren Kindern geht sie nach Chicago, gibt wieder Musikunterricht und arbeitet als Näherin in einem der „Sweatshops“, wo sie sich weiter radikalisiert.
Lizzie wohnte in unmittelbarer Nähe von Lucy und Albert Parsons in einem Arbeiter*innenviertel im Westen von Chicago. In langen Spaziergängen mit beiden wurde Lizzie mehr und mehr zur Anarchistin. 1884 gab Albert, der inzwischen Mitglied der „IWPA(International Working People´s Association), der „schwarzen Internationale“ war, 
die Wochenzeitung „Alarm“ heraus, Lizzie wurde seine Assistentin. In der ersten Ausgabe des „Alarm“ erschien dann der schon erwähnte Artikel „To Tramp“ von Lucy Parsons.
Jeder schmutzige, lausige Tramp solle sich bewaffnen mit einem Revolver oder Messer und damit auf den Stufen der Paläste der Reichen warten und diese erstechen oder erschießen, so bald sie herauskommen. Lasst sie uns töten ohne Gnade und lasst es zu einem grausamen Krieg gegen die Eigentümer werden, ohne Mitleid.
Ähnlich rigoros setzte sie sich für die Rechte der Afro-Amerikaner*innen ein. Schrieb Artikel und Broschüren, benannte und verurteilte öffentlich rassistische Morde und Angriffe, forderte zur Selbstverteidigung auf. In Fragen des Rassismus (und der Frauenfrage) zeigt es sich aber, warum Lucy Parsons heute kaum mehr als das wahrgenommen wird, wie ganz zu Anfang beschrieben.
In einem Artikel zu Lynchmorden in Corrollton 1886, wo dreizehn Afroamerikaner gehängt wurden schrieb sie: „ Gibt es wirklich noch welche, die glauben, dass dieses Verbrechen und alle anderen geschehen ist, weil er schwarz war? Nein, überhaupt nicht ! Es ist, weil er arm ist, weil er abhängig ist, weil er als Klasse noch ärmer ist als ein weißer Lohnsklave im Norden“.
Für sie war Rassismus eng verknüpft mit dem Klassenkampf, der unvermeidlich mit der Zerstörung des Kapitalismus auch die Frauenfrage „kläre“ – und sich damit der oft persönlichen Kritik von Emma Goldmann ausgesetzt sah.
Der Feminismus von Lucy Parson sah die Unterdrückung der Frauen als eine Funktion des Kapitalismus, während für Emma Goldmann die Freiheit der Frauen eher einen abstrakten, allgemeinen Charakter hatte. Für Emma wurde die Frau in allen Schichten, in allen Dingen, in allen Zeiten und an allen Orten unterdrückt.“
 
 
 (Lucy vor einem Portrait von Albert Parsons)
Der Konflikt ging so weit, dass Emma Goldmann Lucy Parsons nur noch „als die Witwe unseres Märtyrers Albert Parsons“ bezeichnete, die „mit seinem Blut um öffentliche Anerkennung buhlt“, ja, in späteren Schriften zu Albert Parsons sogar nur noch von einer „jungen Mulattin“ sprach.
Aber zurück ins Chicago des Jahres 1886. Im ganzen Land gärte es, der Widerstand gegen die Arbeitsbedingungen mehrte sich. Ein 1.Mai wurde gewählt, um im ganzen Land für einen Achtstundentag zu demonstrieren. Die anarchistischen Arbeiter*innen schlossen sich dieser Forderung an, obwohl sie weiterhin für die Abschaffung der Lohnarbeit eintraten.
An diesem Tag, so eine Chicagoer Zeitung, „“kam kein Rauch aus den Schornsteinen der Fabriken, es herrscht eine Sabbat-ähnliche Ruhe“. Es war ein Generalstreik, im ganzen Land fuhren keine Eisenbahnen mehr, die Häfen wurden besetzt. In Chicago selbst gingen ca. 40 000 auf die Strasse – ganze Familien in ihren Sonntagskleidern. Für die Unternehmer und deren Politiker waren dies Zeichen einer Revolution, die es zu bekämpfen galt. Auf Dächern, an Kreuzungen und Strassen postierte sich die Polizei,  Soldaten der Nationalgarde wurden mobilisiert und mit Maschinengewehren ausgestattet.
Dann schlugen sie zu. Am 3.Mai schossen sie in eine streikende Menge vor der Mähmaschinenfabrik McCormick in Chicago. Arbeiter wehrten sich mit Steinen, es gab Tode und Verletzte. Für den Abend des 4.Mai wurde dann zu einer großen Versammlung auf dem Haymarketplatz aufgerufen. Es war ein großer, offener Platz, ideal für die vielen Menschen, die sich nun dem Streik noch anschlossen. Am Abend die grosse Versammlung auf dem Platz, Redner*innen wechselten sich unentwegt ab, dabei auch der Anarchist August Spieß, der schon die Tage zuvor unentwegt agitiert hatte. Es begann zu regnen, viele verließen den Platz. Der Rest des Abends ist wohl bekannt.
 
 
Die folgenden Tage waren eine einzige Verfolgungsjagd, gesucht und festgenommen, gefoltert und abgeurteilt wurden vor allem die Anarchisten. In einigen Zeitungen von Chicago waren zuvor vor allem August Spieß und Albert Parsons als die „Rädelsführer“ genannt. Es gab Haftbefehle gegen sie. Doch Albert Parsons, der an diesem Abend nicht auf dem Platz war, konnte erst einmal untertauchen und versteckte sich bis zum ersten Verhandlungstag. Dann stellte er sich dem Gericht und neben seine mitangeklagten Freunde.
 (Gerichtsgebäude in Chicago
Die ganze Zeit über wurde Lucy von der Polizei überwacht. Als Albert untertauchte, wurde sie verhaftet und verhört, aber selber nicht der Teilnahme an dem Bombenattentat beschuldigt. Im Denken der Behörden waren Frauen nicht in der Lage, solche radikalen und militanten Aktionen durchzuführen.
Nach dem Todesurteil 1887 gegen fünf, dabei auch Albert, konzentrierte sich Lucy, vorangetrieben aus einer Mischung aus Wut und Stolz, auf die Freilassung der Anarchisten. Sie reiste durchs Land, hielt Kundgebungen ab, sammelte Gelder. Wohin sie auch ging, wurde sie von der Polizei „begrüßt“ und bewacht, manchmal behindert. Aber sie gewann mehr und mehr Menschen für den Haymarket Fall, wenn auch nicht unbedingt das Interesse des Gouverneurs von Illinois, der für eine Begnadigung zuständig war. Der 11. November wurde der Tag der Hinrichtung. Lucy, die mit ihren beiden Kindern zum letzten Mal Albert sehen wollte, wurde verhaftet, gezwungen sich auszuziehen und mit ihren Kindern solange in eine kalte Zelle gesteckt, bis die Hinrichtung vorbei war.
Danach lebte sie in Armut, mit acht Dollar in der Woche unterstützt von der „Pioneer Aid and Support Association“, eine Unterstützungsgruppe u.a. für die Familien der Märtyrer vom Haymarket.
1888 reiste sie auf Einladung der „Socialist League“ nach London.
Überrascht und erregt über die Redefreiheiten in England, die in nichts mit der täglichen Repression in den USA zu vergleichen war, begann sie nach ihrer Rückkehr eine neue Epoche ihres Kampfes. Trotz mehrmaliger Festnahmen verteilte sie auf der Strasse ihre Broschüre zum Anarchismus, hielt Reden, suchte die Erwerbslosen bei ihren Hungermärschen.
1892 gab sie zusammen mit Lizzy Holmes die Zeitschrift „Freedom: A Revolutionary Anarchist-Communist Monthly“, wurde oft festgenommen entweder weil sie (verbotene) öffentliche Reden hielt oder (verbotene) anarchistische Literatur verteilte.
Lucy`s Beziehung zur anarchistischen Bewegung war aber verhalten. Während sie sich – verstärkt noch durch die Hinrichtung von Albert – der „anarchistischen Sache“ verpflichtet sah, entstand zwischen ihr und vielen anderen in der „Bewegung“ eine tiefe Kluft, allen voran bei Emma Goldmann, die sich oft nicht gerade nett über Lucy äußerte (s.o.) Für Lucy war die Klassenfrage, der Klassenkampf das Entscheidende und betrachtete – wie die meisten Arbeiterinnen – Ehe und Familie als eine fast natürliche Sache. Im Gegensatz dazu die entsprechende Kritik vor allem von Emma und dem Grossteil der anarchistischen Bewegung und deren Eintreten der „freien Liebe“ – auch wenn sie, Emma Goldmann, in dieser Zeit selbst in einer acht Jahre andauernden, „verzweifelt leidenschaftlichen“ und sehr eifersüchtigen Beziehung zu und mit Ben Reitmann lebte.
Lucy Parsons und Emma Goldmann hatten sehr verschiedene soziale und politische Hintergründe. Während Lucy mehr im Zusammenhang der militanten Arbeiterklasse der 70 und 80er Jahre zu sehen ist, kam Emma Goldmann aus den radikalen intellektuellen Emmigrant*innenzirkeln New Yorks.
1894 streikten etwa 50 000 Arbeiter der Pullmann Werke im Süden von Chicago. Was als wilder Streik begann, wurde einer der größten Arbeiter*innenproteste in den USA: Obwohl der Streik nach zwei Monaten zusammengeschossen wurde, war er für viele – so auch für Lucy Parsons – ein weiteres Beispiel für die Stärke der Arbeiter*innen und der Möglichkeit einer Revolution.
Vehement stürzte sie sich in die Agitation, war maßgeblich an dem Chicagoer „Teamster Streik“ beteiligt.
Montgomery Ward (ein großes Textilunternehmen) hatte 1905 die streikenden Schneider ausgesperrt. Daraufhin traten bis zu 25000 „Teamster“, also Fuhrleute, in einen so genannten „Sympathiestreik“. Der Streik dauerte etwa 100 Tage und bei den gewalttätigen Auseinandersetzungen mit Streikbrechern und Polizei gab es 21 Tote. Dieser Streik gehört neben den East St.Louis Riots zu den heftigsten in der Geschichte der amerikanischen Arbeiterbewegung.
1905 nahm sie als eine der ersten Frauen an der Gründung der „IWW“ in Chicago teil und gab „The Liberator“, die Zeitung der IWW heraus.
Zwischen 1907- 1908, die Zeiten enormer wirtschaftlicher Depression, verlagerte sie ihre Agitation und kämpfte nun vorrangig gegen Armut und Arbeitslosigkeit. 1915 organisierte sie einen Hungermarsch in Chicago. In dieser Zeit wird sie mit den Worten zitiert: „Meine Vorstellungen von Streiks der Zukunft heißt nicht, sich zusammenschlagen zu lassen, zu gehen und zu verhungern, sondern zu streiken bedeutet für mich, in den Fabriken zu bleiben und die Produktion zu übernehmen.“
Damit antizipierte sie nachfolgende Sitzstreiks in den USA, wie in den 30erJahren bei den Kämpfen der Automobilarbeiter(General Motors) und Besetzungen der Fabriken, wie in jüngerer Zeit 2001 in Argentinien.
 
 
 (Sitzstreik bei General Motors 1936)
Der Anarchismus konnte sich in der jetzigen Generation nicht durchsetzen. Es gibt nur ein paar lose, sich abmühende Gruppierungen, die über dieses große Land verstreut sind. Sie treffen sich gelegentlich bei ‚Konferenzen‘, reden miteinander und gehen dann wieder nach Hause. Anarchisten sind gut darin, Mängel anderer Organisationen aufzuzeigen. Aber was haben sie in den letzten fünfzig Jahren getan … Nichts, um eine Bewegung aufzubauen. Sie sind nur Fantasten, die träumen. Somit finden sie keinen Anklang in der Öffentlichkeit … [Es] ist kein Thema mehr im heutigen Leben Amerikas.
Ich habe für International Labor Defense (ILD) gearbeitet, weil ich etwas tun wollte, um den Opfern des Kapitalismus, die in Schwierigkeiten geraten waren, zu helfen und weil ich mehr tun wollte, als nur zu reden.“
Harte Worte von einer, die zutiefst von den Ideen des Anarchismus überzeugt war.
Der Anarchismus hat nur ein unfehlbares, unveränderliches Motto: Freiheit. Die Freiheit, jede Wahrheit zu entdecken, die Freiheit, sich zu entwickeln, natürlich und voll zu leben.“( The Principles of Anarchism).
Harte Worte auf harte Kritiken von Seiten einer langsam absterbenden, zerfallenden anarchistischen Bewegung. Sie arbeite mit den Kommunisten zusammen, ja, sei Mitglied der Kommunistischen Partei, war eigentlich immer schon eher eine Kommunistin gewesen.
Auslöser war ihre Zusammenarbeit mit der „International Labor Defense“, der US-amerikanischen Sektion der Internationalen Rote Hilfe, die der Kommunistischen Partei angegliedert war. Die ILD engagierte sich sehr stark in Bürgerrechtsfragen, setzte sich für verfolgte Gewerkschaftsaktivistinnen ein und kämpfte gegen Rassismus und Lynchjustiz. Dies war ausschlaggebend für Lucy Parsons und erinnert sehr stark an die Motive der Zusammenarbeit von Erich Mühsam mit der „Roten Hilfe“ und den dementsprechenden Schmähungen.
Lucy Parsons angebliche Mitgliedschaft jedenfalls konnte nicht belegt werden, selbst die KP wies diese „Gerüchte“ in einer Todesanzeige 1942 zurück.
Wohl eine der spektakulärsten Aktionen, die Lucy zusammen mit der ILD durchführte, war die gegen die Verfolgung und Verurteilung der „Scottsboro Nine“. Eine Gruppe von neun jungen Schwarzen, die 1931 der Vergewaltigung zweier weißer Frauen in Alabama angeklagt und ohne jegliche Beweise für ihre Schuld zum Tode verurteilt wurden. Durch eine unermüdliche Kampagne wurden anfangs vier der Männer freigelassen, die Todesstrafe für die anderen zuerst in längere Haftstrafen umgewandelt, bis auch sie 1943 freigesprochen und freigelassen wurden.
Lucy Parsons setzte ihren Einsatz für die freie Rede unermüdlich fort, hielt glühende Ansprachen in den Strassen von Chicago, wo sie viele junge Anarchist*innen begeisterte. Studs Terkel nannte sie später seine „Lehrmeisterin“.
Sie starb am 7.März 1942 – wohl 89 Jahre alt – in ihrem Haus durch ein Feuer. Nach ihrem Tod beschlagnahmte die Polizei ihre Bibliothek von mehr als 1500 Büchern und viele ihrer persönlichen Papiere, Reden, Manuskripte, so als fürchteten sie Lucy Parsons noch über ihren Tod hinaus.
Sie wird in der Nähe von Albert Parsons beerdigt, am Haymarketdenkmal im „Forrest Park“, Illinois. 
 
 (Haymarketdenkmal mit den Grabsteinen von Lucy Parsons und Emma Goldmann u.a.)

Lucy Parsons sprach mit einer schönen, wohlklingenden Stimme, voller Eloquenz und Leidenschaft. Ihre Kraft holte sie aus den Menschen, die sie umgaben. Sie verlor nie den Glauben an die Stärke, den Mut und die Intelligenz der Menschen…. Welche große Befriedigung mag es für sie sein, die Zahl der jungen Frauen zu sehen, die die Farbe ihres Protestes stark und heiter weitertragen. Lucy Parsons lebte nicht in der Vergangenheit. Sie lebte für die Zukunft. Sie wird in der Zukunft in den Herzen der Arbeiter*innen weiterleben.


(Elizabeth Gurley Flynn)

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Originalmanuscript: 9.April 2012  (radiochiflado.blogsport.de- w.h.)

Jul 25 2020

Geschichte des Anarchismus in Deutschland – 3.Abschnitt

„Sie schnitten sich dornige Zweige ab und schlugen.
Perverse Genüsse. Sie brachten die Alten mit Tritten in Trab.
Dazwischen knallten die Schüsse
Sie trieben uns schlimmer als räudiges Vieh,
sie johlten und schlugen mit Stecken.
Die Alten sanken wimmernd ins Knie.
Es war der Tag aller Schrecken.“
(Karl Snog, Buchenwaldhäftling)
Anfang Mai 1945 verteilte der Hamburger Anarchist Otto Reimers ein erstes Flugblatt gegen die Verbrechen der Nazis, in dem Rache für Buchenwald und andere KZ`s gefordert wurde.
Vielleicht würden jetzt in den letzten Stunden der Nazi-Herrschaft endlich die Parteiführer gehängt und die Kasernen von der Bevölkerung gestürmt.
Er setzte mit seinen wenigen übrig gebliebenen Genossen in den nachfolgenden Rundschreiben auf eine einheitliche revolutionäre Bewegung aus Kommunisten, Sozialdemokraten und Anarchist*innen. In dieser Einheitsfront schien der Anarchismus wohl aufgegeben, nach Ansicht von Reimers allerdings nur taktisch. In den „Mahnrufen“ wollten sie eine Einheit für die Gestaltung der demokratischen Republik, der Wirtschaft und vor allem des Bildungsbereiches als eine „geistige“ Revolution – und dies sollte mit Unterstützung einer „geistigen Elite“ erreicht werden.
Diese Einheit fand jedoch nicht statt, die Hamburger Anarchisten zogen sich daraufhin wieder in ihre Ideen zurück.
 
Das zeigt die Problematik der deutschen Anarchist*innen, was sie angesichts der gewaltigen Trümmer, des in Besatzungszonen aufgeteilten Landes und des dadurch entstandenen Machtvakuums eines nicht mehr vorhandenen Staates nun tun sollten. Jede Gruppe war in diesen Tagen und Monaten auf sich selbst gestellt.
Diese Situation brachte die Bevölkerung in ein Vakuum möglicher Selbstorganisation (und Selbstverwaltung).
„Denn wovon lebten die Leute? Von Restbeständen, die sie sich aus verlassenen oder aufgebrochenen Läden herausholten. sie suchten in Kellern ausgebrannter Ruinen nach Nahrung, die gefallene, geflohene, verbrannte Bewohner*innen vielleicht zurückgelassen hatten, alte Heereslager wurden gestürmt und geplündert, der Ungeschickte hungert, viele Ungeschickten verhungern, kein Treibstoff für Busse. Wasser? Lange Schlangen stehen an den Pferdepumpen, die an den Bürgersteigen der Strasse durch Glück und Zufall intakt geblieben sind, topfweise, eimerweise schleppen die Leute oft nach stundenlangem Warten das so kostbare Nass weg...“
dies nutzte Rudolf Rocker, um aus den USA publizistisch die weiteren Geschicke des deutschen Anarchismus maßgeblich mit zu gestalten.
Aus der alten FAUD sind auch die letzten Ansätze verschwunden… “ (Rocker,Zur Betrachtung der Lage in Deutschland)
Rocker sieht in dem Land, das nun keine zentrale Macht mehr hat, eine Chance , eine neue Geschichte zu beginnen, um dem Erwachen eines neuen zentralen Staates entgegen treten zu können. er plädiert für kommunale Selbstverwaltung, die beweisen sollte, das es keiner übergeordneten Regierung bedarf und er sieht dies im Sinne einer eher europäischen, dann weltweit agierenden Föderation.
Unterstützung erhielt er dabei von Otto Reimers und Helmut Rüdiger, der vor allem für einen „Bund freiheitlicher Sozialisten“ plädierte.
Aber es gab auch kritische Stimmen und Spottverse, die eine kommunale Vertretung ablehnten.

„Anarchisten brauchen keine Wahlen, auch keine auf Gemeindeebene .Anarchisten brauchen auch keine Führer, welche Parolen ersinnen.“
„Zwar im Herzen, alle Mal/ sind wir ganz die Alten: hundert Prozent radikal, doch – das Leben ist real, da heißt es halt mithalten…“

Eine gezielte Kritik gegen Rocker auch in diesen Sätzen:
„Die vermeintlichen überschlauen Führer behindern die …Energieentfaltung der Massen bei der Befreiung von jedweder Knechtschaft. Solche Kurpfuscher können Taten nicht ersetzen. Eben sowenig kann der Föderalismus an die Stelle des Anarchismus treten.Es gibt nach wie vor ein Allheilmittel, nämlich die herrschafts-und eigentumslose Ordnung! Durch Mitarbeit in Gemeinden, Genossenschaften und Gewerkschaften ist sie gewiss nicht zu erreichen. Denn das sind Sumpfgebilde privat-oder kollektivkapitalistischer Herrschaft.“
So sprach und schrieb Willi Huppertz, Anarchokommunist im Denken und Individualanarchist im Handeln, der 1948 die Zeitschrift „Befreiung“ herausgab. Sie wird zu einer interessanten und lange erscheinenden Publikation des deutschsprachigen Anarchismus. 1978 erscheint die letzte Ausgabe.
 Dessen allem ungeachtet gründete sich 1947 in Darmstadt die „Föderation freiheitlicher Sozialisten (FFS)“.
In dem Programmentwurf wird zwar der Gedanke der Gemeindewahlen als Personenwahlrecht aufgegeben, aber in dem sie allen deutschen Anarchist*innen die aktive Mitarbeit in den Gemeinden und Gewerkschaften empfahlen und damit auf den Syndikalismus verzichteten, sorgten sie für weitere Spannungen.
Sozusagen als Ausgleich beantragte die Föderation die Aufnahme in die IAA.
Als Mitteilungsblatt der Föderation erschien im Dezember 1947 „Die Internationale“, herausgegeben von Gretel und Alfred Leinau, die zu den emsigsten Gründer*innen der Föderation gehörten. Zwei Jahre später erschien mit „Freie Gesellschaft“ eine durchaus respektable Monatsschrift, 34 Seiten DIN-A5 im Buchdruck und mit rotem Einband, hier von Alfred Leinau redaktionell betreut. Neben Grundsatzartikeln und Kommentaren zu politischen und kulturellen Ereignissen wurde auch auf die Publikationen der „Gilde freiheitlicher Bücherfreunde“ hingewiesen.
Schon zu Zeiten der „Weimarer Republik“ hatten Syndikalisten eine anarchistische Buchgemeinschaft gegründet, die „Gilde freiheitlicher Bücherfreunde“ . auch eigene Bücher wurden veröffentlicht, eigene Leseclubs sorgten für den notwendigen Absatz. Einige Mitglieder bauten nun in Bremen diese Gilde wieder auf und mit der Konstitutionierung der „FFS“ erschien nun auch wieder anarchistische Literatur.
Der von Rocker gefürchtete Zentralstaat entstand allerdings zwischendurch an anderer Stelle. Schon im Sommer 1945 wurden in der damaligen sogenannten „Sowjetischen Besatzungszone“ die ersten Länder mit eigenen Länderverwaltungen gegründet, unter Kontrolle des sowjetischen Sicherheitsdienstes und der SED. Dort wurde von Anfang an rigoros und brutal gegen Anarchist`*innen gekämpft, wie z.B. bei Willy Jelinek exemplarisch durchgeführt wurde

 („Himmelsleiter“ im KZ Bautzen)
Willy Jelinek war in 20er Jahren Mitarbeiter der in Zwickau erschienenen Zeitschrift „Proletarischer Zeitgeist“ als Organ der „Allgemeinen Arbeiterunion“, die sich mehr und mehr den anarchistischen Ideen genähert hatte. Nur wenige überlebten das Naziregime. Jelinek, der die Aboliste versteckt hatte, nahm nun darüber wieder Kontakt zu den Genoss*innen auf. Im sogenannten „Zwickauer Kreis“ wandte er sich scharf gegen die Bestrebungen der KPD zur Einheitspartei mit der SPD und noch schärfer gegen die Beteiligung der Anarchisten an einer Einheitsfront.
Er stand so im harten Diskurs mit dem anfangs erwähnten Otto Reimers. Spitzel wurden auf den Kreis angesetzt. Jelinek übertrug sicherheitshalber Abolisten und Publikationen auf den ebenfalls schon erwähnten Willy Huppertz.
Im November 1948 wurde Jelinek von der russischen Polizei festgenommen und zuerst ins KZ Sachsenhausen gebracht, was von den Kommunisten nun ihrerseits für ihre Gefangenen genutzt wurde. Dann wurde er nach Bautzen verlegt, wo erbärmliche Zustände herrschten. Alle Gefangenen hungerten, viele starben an Unterernährung und TBC.
Unter bis heute nicht geklärten Umständen starb Willy Jelinek am 24.März 1952 im KZ Bautzen.
Für die Anarchist*innen in Deutschland prägten die nächsten Jahre die vielfältigen Versuche, die verschiedenen Gruppen zusammen zu bekommen., ja. eine Zeitlang wurde von einer deutschen, ja, deutschsprachigen Föderation geträumt, die alle Gruppen vereinen sollte. Doch bei der bestehende Föderation, die FFS, war irgendwann mal die Luft raus. Der Pragmatismus ihrer Politik und das Nationale ihres Denkens schuf immer wieder Spannung innerhalb der Bewegung.
Die Etablierung zweier deutscher Staaten – so verschieden sie auch sein mochten – ließ den Spagat zwischen anarchistischem Profil und Mitarbeit in den Gewerkschaften und Gemeinden nicht zu.
Die Zahl der Mitarbeiter*innen stagnierte, ihr Einfluss war marginal.
Zwischendurch gab es kleine Auffrischungen, z .B. durch die antimilitaristische „Bewegung gegen den Atomtod“, aber die immer wieder auftretenden Richtungskämpfe erwiesen sich letztendlich als destruktiv.
Der Tod von Milly Witkopp und wenige Jahre später von Rudolf Rocker markierten irgendwie das Ende dieser Generation und den Schlusspunkt einer bewegten Ära des Anarchismus in Deutschland. Die verbliebenen ehemaligen Gruppen der Föderation lösten sich in den 60er Jahren auf. Die letzten Anarchist*innen waren müde.

In der „Befreiung“ vom Dezember 1966: „““ Warum kommen wir nicht weiter mit der Verwirklichung unserer Idee? Warum befreien sich die unterdrückten und versklavten Menschen nicht von ihrem Joch? Untertanengeist, Unentschlossenheit, Herrschaftsglaube, Denkfaulheit und Feigheit — das sind die Hauptursachen, wenn die versklavten Massen nicht aus ihrem Dasein herauskommen.„““

Doch schon wenige Monate vorher läuteten die Glocken der Westkirche in Amsterdam unter Rauchbomben eine neue Zeit ein. Eine Zeit, die nicht nur Deutschland, sondern halb Europa erfassen sollte ……… !

Die Entwicklung dieser libertären Bewegung (ab 1967) ist ausreichend dokumentiert, wenn auch je nach Rezensent*in unterschiedlich bewertet – ein interessanter ausführlicher Artikel findet sich be
„DadAWeb“  http://www.dadaweb.de/wiki/Neoanarchismus

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ENDE und ANFANG —- aktuelle Entwicklungen entnehmt der jeweiligen Praxis — oder nutzt die entsprechenden Medien, wie z.B. auch diesen Blog hier …..!!

Jul 25 2020

Geschichte des Anarchismus in Deutschland — 2. Abschnitt

(Erich-Mühsam Platz in München)

Auf dem Meere tanzt die Welle
nach der Freiheit Windmusik.
Raum zum Tanz hat meine Zelle
siebzehn Meter im Kubik….
……Liebe tupft mit bleichen leisen
Fingern an ein Bett ihr Mal.
Meine Pforte ist aus Eisen,
meine Pritsche hart und schmal…..“
(Erich Mühsam)
Nach seinen Gefängnisjahren stürzte sich Erich Mühsam erneut ins revolutionäre Geschehen. Viele seiner Freunde und Bekannten waren jedoch nicht mehr – oder hatten sich den Parteien oder Karrieren ergeben.
Wo bleibt ihr nur, Genossen meiner Zeit?
Ich schau zurück und kann euch kaum noch sehn.
Ein wirres Stimmentosen hör ich weit,
Weit hinter mir und kann es nicht verstehn
.“
Die FAUD war durch das straff organisierte Industrieproletariat in der Weimarer Republik immer kleiner geworden, der Dogmatismus der „Föderation kommunistischer Anarchisten“, der Nachfolgeorganisation der „AFD“, zeigte sich in einem Unvereinbarkeitsbeschluß gegenüber Mühsam, hatte dieser doch sofort nach seiner Entlassung für die Freilassung der anderen Gefangenen mit der KPDnahen „Roten Hilfe“ Vortragsreisen unternommen, Gelder gesammelt und Protestveranstaltungen mitorganisiert.
Nun schloss ihn deshalb die Föderation aus. Auch die FAUD lehnte jede Mitarbeit mit der „Roten Hilfe“ ab, weil diese einzig und allein der Propaganda der KPD diene.
Mühsam kümmerte das wenig. Auch mit der FAUD war er immer auf Distanz. So stellte er deren gewerkschaftlicher Organisierung immer das revolutionäre Rätemodell gegenüber. (1931 soll er allerdings über eine Mitgliedschaft nachgedacht haben)
Er gründete nach dem Rauswurf die „Anarchistische Vereinigung“ und mit ihr 1926 die Zeitschrift „Fanal“, die 1931 allerdings verboten wurde. In ihr hatte er von Anfang an vor dem Herannahen des Nationalsozialismus gewarnt.
1927 beteiligte er sich an der weltweiten Kampagne für die Freilassung von Sacco und Vanzetti und schrieb für sie das Drama „Staatsräson- ein Denkmal für Sacco und Vancetti“
 
Fürcht nicht die Stunde, da du stirbst.
Die Welt, so glaub’s nur, kann dich missen.
Kein Stern, um dessen Licht du wirbst,
wird mit dir in den Tod gerissen.
Solang du lebst, wirst du gebraucht.
Soll dich das Leben nicht vergessen,
sorg, daß die Tat nicht untertaucht,
an der du deine Kraft gemessen.
Leb, daß du stündlich sterben kannst,
in Pflicht und Freude stark und ehrlich,
nicht dich, – das Werk, das du begannst,
mach für die Menschheit unentbehrlich!“
 (Leitsatz, Erich Mühsam)
Im Februar 1933 wird Erich Mühsam verhaftet und ein Jahr später in das KZ Oranienburg verschleppt. In der Nacht zum 10.Juli 1934 wird er von SS-Leuten erschlagen.(1)

Ich bin ein Pilger, der sein Ziel nicht kennt;
der Feuer sieht und weiß nicht, wo es brennt;
vor dem die Welt in fremde Sonnen rennt…
..“    https://youtu.be/1mHVUIcptoU

1933 wird das Büro der Geschäftskomission der FAUD in Berlin von Faschisten gestürmt. Einige, unter anderen Helmut Rüdiger und Augustin Souchy, flüchten nach Spanien und gründen in Katalonien die Gruppe „Deutsche Anarchosyndikalisten“. Andere verschwinden in den KZ‘s der Nationalsozialisten oder gingen in den Untergrund. (2)
Die Widerstandsformen der FAUD wie auch der „Föderation“ waren nicht einheitlich. Während die FAUD zu einem Generalstreik gegen die Machtergreifung der NSDAP aufrief, hatten sich schon einige Jahre zuvor die Ortsgruppen in Oberschlesien zu einer militanten uniformierten Organisation zusammengeschlossen: den „Schwarzen Scharen“, die schnell vor allem bei den jungen Leuten an Einfluss gewann.
Der Name verwirrt im ersten Moment, erinnert er ja an das Braunschweiger Freikorps „Schwarze Schar“, das 1809 gegen die Franzosen aufgestellt wurde. Dort findet sich zum ersten Mal mit dem Wahlspruch „Sieg oder Tod“ ein silbernen Totenkopf, der später von der SS übernommen wurde. Ob der Name „Schwarze Scharen“ bewusst als Pendant gewählt wurde, kann nur spekuliert werden.
Auf jeden Fall begriffen sich die „Schwarzen Scharen“ als unabhängig agierende Ergänzung zu FAUD. Diese kritisierte allerdings bald das Auftreten und Militarisierung – sahen sie doch darin einen erneuten Rückfall in den politischen Terrorismus des 19.Jahrhunderts.
Die Mehrheit der Genossen vertritt den Standpunkt, daß die Jugend durch die „Schwarzen Scharen“ militarisiert wird und unser Kampf gegen Krieg und Militarisierung dadurch zur Farce .“
Dem hielten die „Schwarzen Scharen“ entgegen: „Wir als junge Revolutionäre sind nicht mit der Stagnation der Bewegung einverstanden.Die Bewegung ist gelähmt und inaktiv geworden. Statt mit verkümmerten Pessimismus passives und abwartendes Verhalten zu erzeugen, gilt es nun gute und fruchtbringende Arbeit mit den Massen zu leisten. Wie steht ihr zur Abwehrfront gegen Faschismus und Feinden der Anarchosyndikalisten?“
Die FAUD sei viel zu sehr eine gewerkschaftliche Organisation und vernachlässige die politische Auseinandersetzung.
So fanden die „Schwarzen Scharen“ schnell Einfluß im ganzen Land. In einer ihrer Zeitschriften „Die Schwarze Horde“ von 1930 wurde sogar Erich Mühsam als der Leiter aller „Scharen“ vorgeschlagen.
Viele in diesen Gruppen trugen Revolver bei sich, die sie dann auch bei den Strassenschlachten gegen die Nazis einsetzten.
Trotz grossmöglichster Distanz der FAUD mussten diese bei den immer häufiger werdenden Angriffen der Faschisten die „Schwarzen Scharen“ oft als Saalschutz akzeptieren.(3)
Nach 1933 traten die verschiedenen Gruppen der „Schwarzen Scharen“ nicht mehr öffentlich auf. Viele machten illegal weiter.
1937 wurde eine Gruppe im Rheinland von der Gestapo verhaftet. Über 100 junge Leute wurden inhaftiert, später in die KZ‘s gebracht, wo die meisten starben.
Einige der Überlebenden konnten desertieren, als sie in die SS zwangsrekrutiert werden sollten.
Ein anderer Teil ging zur Gruppe der „Deutschen Anarchosyndikalisten“ nach Barcelona oder weiter in die Kolonne „Durutti“, wo sie ihren Kampf gegen den Faschismus fortsetzten.

(1)  http://digitalresist.blogspot.com/2014/06/zum-gedenken-12juli-2014-80todestag.html  
(zum Gedenken an Erich Mühsam)

(2) + (3) https://www.a-radio.net/2010/4216     (Radiosendung zu „schwarze Scharen“ und „Anne Goetze“ FAUD)

https://youtu.be/TsyS6vITOZ4……….. (A las barricadas — Film zu einigen der „DAS“)

* Originalmanuscript Juli 2011

****
(wird fortgesetzt: Mahnruf und Befreiung)


Jul 25 2020

Geschichte des Anarchismus in Deutschland — 1.Abschnitt

Der Beginn des Anarchismus in Deutschland ist eher auf das Wirken von einzelnen Personen und dessen Engagement in verschiedenen Zeitungsprojekten und die Wurzeln dieses libertären Denkens eher auf äußere Einflüsse, vor allem Proudhon, zurückzuführen. Zwar wird der Begriff „Anarchie“ schon 1825 von Ludwig Börne öffentlich in einem politischen Zusammenhang gebracht („Freiheit geht nur aus Anarchie hervor „) doch blieb dies alles in den Kreisen der so genannten geistigen Elite. Menschen, meist Männer, mit Bildung und Interesse an ökonomischen und sozialen – auch revolutionären – – Fragen.
So bemerkte Bakunin auf der 1.Internationale 1864 die äußerst geringe Teilnahme deutscher Anarchisten. Sein wohl in diesem Zusammenhang geäußerter Satz.“ Die Deutschen sind ein Volk, das im hohen Maße von der Staatsidee durchdrungen ist“ erscheint daher von bemerkenswerter Klarheit und Voraussicht. Auch in den Memoiren von Johann Most erinnert sich dieser, dass er 1867 im Schweizer Jura zwar „bakunistische Arbeiter“ getroffen habe, aber weder in Österreich noch in Deutschland jemals Anarchisten gesehen habe.
Die Gründe für diese geringe Resonanz liegen wohl in erster Linie an dem großen Einfluss, den Marx/Engels durch das „Abmurksen“ abweichender Meinungen erreichten und der damit da hergehenden Vision eines „Staatssozialismus“, mit dem die Sozialdemokratie, durchdrungen von autoritären, staatstragenden Handlungen, die Arbeiterschaft klein hielt – nicht zufällig kamen später bedeutende Vertreter des Anarchismus in Deutschland aus eben diesen Kreisen.
Erst 1874 wird von den ersten Gruppen berichtet. Unterstützt wurden sie dabei von dem französischen Anarchisten Victor Dove, der wegen geheimer Propaganda einige Zeit später zu mehreren Jahren Zuchthaus verurteilt wird und dann nach London abgeschoben wurde. Zwei missglückte Attentate auf den Kaiser wurden 1878 vom Reichskanzler Bismarck genutzt, um in einer Reihe von Verordnungen, den so genannten Sozialistengesetzen, nun noch rigoroser und öffentlichkeitswirksamer gegen den wachsenden Einfluss von Links innerhalb der Arbeiterschaft vorgehen zu können.
Diese illegale Situation drängte die deutschen Anarchisten mehr und mehr in Aktionen der „Propaganda der Tat“. Auf einem internationalen viertätigen Kongress 1881 in London wird sie zur offiziellen Doktrin erklärt. Bei Johann Most, einer der prominesten Vertreter des deutschsprachigen Anarchismus und Verfechter dieser Art der direkten Aktion, lässt sich dies gut verfolgen. In der später erschienenen Broschüre „Revolutionäre Kriegswissenschaft“ belässt er es nicht bei der Propaganda, sondern gibt praktische Hilfestellung bei Dynamit und Giften.
Das Attentat ist es nun, dass das unterdrückte Volk aus der scheinbaren Lethargie wecken soll – der Tyrannenmord als Funke zur Revolution – denn sie, die Macht ist verwundbar. Der Attentäter als gnadenloser Rächer aller Unterdrückten, Witwen und Waisen, als Held der Freiheit.
Ganz in diesem Sinne verlangte eine Gruppe um Friedrich August Reinsdorf bei der Eröffnung des Niederwalddenkmals in Hessen 1883 die „ganze Brut von Kaiser, Fürsten und Bischöfen“ in die Luft zu sprengen. Das Vorhaben scheitert, Reinsdorf wird zusammen Emil Küchler in Halle hingerichtet. In seinen Schlussworten wird die ganze moralische Legitimation deutlich, mit der die „Propaganda der Tat“ als einzig mögliche Art des Widerstands verklärt wurde.
„Die Arbeiter bauen Paläste und wohnen in armseligen Hütten. Sie erzeugen alles, doch sie haben wenig und schlecht zu essen. Die obereren 10 000 erhalten sich auf den Schultern der großen Masse und der Staat will dies auf ewig aufrechterhalten. Soll dies wirklich für immer dauern? Ist eine Veränderung deshalb nicht unsere Pflicht?“
Im Jahre seiner Hinrichtung 1885 wird ein anderer Anarchist, Julius Lieske, verhaftet und enthauptet. Ihm wurde vorgeworfen, den Frankfurter Polizeirat und Anarchistenfresser Rumpf erstochen zu haben. Das Volk, wer immer im Einzelnen gemeint war, hatte wohl andere Probleme und die gestern noch so verwundbare Macht wurde stärker und grausamer als je zuvor.
Diese Phase der „Propaganda der Tat“ des deutschen Anarchismus war damit beendet. Max Nettlau wird später notieren. „Die ungeheure Opferwilligkeit so vieler hatte durch ihre Einseitigkeit die denkbar kleinsten Resultate gebracht.“
Parallel dazu entwickelten sich die ersten freien Gewerkschaften. „Lokalisten“ nannten sich die Mitglieder von gewerkschaftlichen Fachvereinen. „Lokalisten“, weil auf lokaler, örtlicher Ebene – sie lehnten eine zentrale Organisation ab, stattdessen sollte autonom entschieden werden. Überregional traten sie durch Vertrauensmänner in Verbindung. 1897 nannten sich die „Lokalisten“ um in „Freie Vereinigung deutscher Gewerkschaften“ und näherten sich mehr und mehr anarchistischen und syndikalistischen Ideen.
Verstärkt wurde dies durch die „Unvereinbarkeitsbeschlüsse“ der Sozialdemokraten, die den Zentralgewerkschaften nahe standen. So war der große Bergarbeiterstreik 1889 eher durch radikale Sozialdemokraten und – wenn auch nur örtlich begrenzt – durch einzelne Anarchisten beeinflusst. Diese linke Opposition – die „Jungen“ – wurde dann auch 1891 aus der Partei ausgeschlossen – u.a. auch Rudolf Rocker.
Wenig später, nach einem weiteren Bruch und einer Spaltung in einen „Sozialistischen Bund“(SB) und einer anarchistischen Föderation „AFD“ übernahm ein 23jähriger Anarchist des „SB“ die Leitung der Zeitschrift „Der Sozialist“: Gustav Landauer.
Anders als Rocker, der Massenorganisator, der später maßgeblich an der Gründung der FAUD beteiligt war, war Landauer eher ein Denker, ja wohl der anarchistische Philosoph des deutschsprachigen Anarchismus, dessen ethischer Sozialismus zu einer tiefen Freundschaft mit Erich Mühsam führte. Für Landauer setzte solidarisches Handeln immer eine kritische Selbstreflexion voraus, soll heißen: Ohne Veränderung des Menschen keine Revolution keine Veränderung der Welt – und dies subito.
Ich meine den Drang, sich noch einmal zur Welt zu bringen, sein eigenes Wesen neu zu formen und danach die Umgebung, seine Welt, zu gestalten, so weit man ihrer mächtig ist. Dieser höchste Moment müsste für jeden kommen: wo er, um mit Nietzsche zu sprechen, das ursprüngliche Chaos in sich schafft, wo er wie ein Zuschauer das Drama seiner Triebe und seiner dringendsten Innerlichkeiten vor sich aufführen lässt, um dann festzustellen, welche seiner vielen Personen in ihm herrschen soll, was das Eigene ist wodurch er sich von den Traditionen und Erbschaften der Vorfahrenwelt unterscheidet, was die Welt ihm, was er der Welt sein soll. Das nenne ich einen Anarchisten, der den Willen hat, nicht doppeltes Spiel vor sich selber aufzuführen, der sich so wie einen frischen Teig in entscheidender Lebenskrise geknetet hat, dass er in sich selber Bescheid weiß und so handeln kann, wie sein geheimstes Wesen ihn heißt……..
Man würde mich sehr falsch verstehen, wenn man glaubte, ich predige Quietismus oder Resignation, Verzicht auf Aktion und auf Wirken nach außen. O nein! Man tue sich zusammen, man wirke für Munizipalsozialismus, auch für Siedlung- oder Konsum- oder Wohnungsgenossenschaften; man gründe öffentliche Gärten und Bibliotheken, man verlasse die Städte, man arbeite mit Spaten und Schaufel, man vereinfache all sein äußeres Leben, um Raum für den Luxus des Geistes zu gewinnen; man organisiere und kläre auf; wirke für neue Schulen und die Eroberung der Kinder; all das erobert doch nur das ewig Gestrige, wenn es nicht in neuem Geiste und aus neu erobertem Binnenland heraus geschieht“

(Landauer: Anarchische Gedanken zum Anarchismus)
Für die deutschsprachige anarchistische Bewegung dieser Zeit stehen Männer wie LandauerRocker und Mühsam. Männer dominierten Form und Inhalt anarchistischer bzw. syndikalistischer Politik, die Lösung der Geschlechterfrage im Alltag auch hier nicht erkennbar.
 Auch hier die Trennung in öffentlichen Mann – Beruf, Politik – und privater Frau – Kopfkissen, Familie, Krankenpflege. Erst fast ein Jahrzehnt später werden es Frauen wie Milly WitkopMathilde Wachsmuth und andere sein, die sich im „Syndikalistischen Frauenbund“ organisierten.
Umso bemerkenswerter daher – Margarethe Hardegger, 1882 in Bern geboren, Gewerkschaftlerin und Frauenrechtlerin.
Aktiv an der Gründung des „Sozialistischen Bundes“ , zusammen mit Gustav Landauer und Redakteurin der Zeitschrift „Der Sozialist“. Je mehr sie jedoch für die Rechte der Frau und der „freien Liebe“ eintrat umso mehr geriet sie, auch mit Landauer in Konflikte. Dieser verhielt sich anschließend alles andere als emanzipatorisch, sondern nutzte einen juristischen Konflikt, um Margarete aus dem SB zu drängen. Sie gründete 1919 eine Kommune und ein Jahr später eine Produktionsgenossenschaft in der Nähe des Monte Verita bei Ascona.
Der Krieg ist ein Massaker von Leuten, die sich nicht kennen, zu Nutzen von Leuten, die sich kennen, aber nicht massakrieren.“ (Paul Valery)
Auch wenn viele Anarchist*innen den Krieg im Sommer 1914 vorhergesehen hatten, die nationalistische Begeisterung, vor allem der Arbeiter*innen, überraschte doch. Auch im eigenen Lager kam es zu heftigen Auseinandersetzungen. Kropotkin war für einen Krieg gegen die Großmacht Deutschland. Landauer und Erich Mühsam als anarchistische Antimilitaristen dagegen.
„So erscheinen wir dem Ausland: als brutale, Händelsuchende, mit dem Säbel rasselnde Kriegesknechte, die aber all das nur sind, weil wir ängstliche, feige, friedliebende, hilflose Herrenknechte sind.“( Gustav Landauer)
Mühsam schrieb 1916 das „Soldatenlied“ „  https://youtu.be/Qaim41rHAq4
(…….Es ruhe das Gewehr!
Wer für die Reichen bluten konnt,
kann für die Seinen mehr.
Ihr drüben! Auf zur gleichen Pflicht!
Vergeßt den Freund im Feinde nicht!
In Flammen ruft der Horizont
nach Hause jedes Heer……)
Aus London bezogen Milly Witkop und Rudolf Rocker in ihrer Zeitschrift „Der Arbeiterfreund“ klar Stellung gegen Nationalismus und Imperialismus.
Im Oktober 1918 weigerten sich die Matrosen in Wilhelmshaven weiter für den Krieg geopfert zu werden. Zwar wurde die Meuterei niedergeschlagen, viele der Streikenden in Kiel inhaftiert, doch im November kam es dort zu einem Aufstand, der das ganze Land erfasste. Von Bremen bis München bildeten sich in 44 Städten die „Arbeiter- und Soldatenräte“. Diese Räte sorgten für den Sturz des Kaisers, verjagten die Dynastie und begannen mit der Organisation des sozialen Lebens. Sie wollten u.a. Polizei und Militär durch Arbeitermilizen ersetzen und die Arbeiter*innenselbstverwaltung in den Fabriken einführen. Im Gesamten waren die Anarchist*innen bei dieser Organisation eher noch unbedeutend, einer ihrer Schwerpunkte lag allerdings in der Mitwirkung der „Münchner Räterepublik“ und hier vor allem wieder Gustav Landauer und Erich Mühsam. Diese hatten zusammen mit anderen Münchner Anarchist*innen aktiv am Umsturz teilgenommen und waren bereits in verschiedenen Räten vertreten. Zu ihnen zählte der Schriftsteller Ret Marut sowie Ernst Toller.
Am 7.November 1918 ruft Eisner die Bayerische Republik aus. Erich Mühsam agitiert als Redner: „Wir, die wir geistige Menschen sind, wollen zusammenstehen – in einer Reihe mit Vagabunden und Bettlern, mit Ausgestoßenen und Verbrechern wollen wir kämpfen gegen die Herrschaft der Unkultur! Jeder, der Opfer ist, gehört zu uns! Ob unser Leib Mangel leidet oder unsre Seele, wir müssen zum Kampfe blasen! – Gerechtigkeit und Kultur – das sind die Elemente der Freiheit!
Zwei Tage später wird er in den revolutionären Arbeiterrat aufgenommen. Der Rat will die „Räterepublik“. Mühsams Zeitung „Kain“ erscheint wieder. Bei seinem Versuch, im Münchner Rätekongress einen Antrag auf Ausrufung der „Bayrischen Räterepublik“ durchzubringen, scheitert er mit 70 zu 234 Stimmen.
Mit Toller und Landauer gründet er daraufhin die „Münchner Räterepublik“. Doch schon 6 Tage später wird Mühsam nach dem sozialdemokratischen „Palmsonntag Putsch“ verhaftet und wegen Hochverrats zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt. Am 1.Dezember 1924 wird er jedoch wegen „Wohlverhalten“ auf Bewährung freigelassen. Durch eine Amnestie, die u.a. auch Adolf Hitler freiließ.
Mit Billigung der SPDRegierung putschte das Militär im Morgengrauen des 13.April 1919, Palmsonntag. Sie verhafteten zwar einige Mitglieder des Zentralrates, doch Toller, Landauer und die Führung der KPD konnten entkommen. Räte und KPD riefen zusammen gegen den Putsch auf. Die anschließenden Kämpfe – 21 Tote – endeten mit der Niederlage der Putschisten. Ein so genannter „Volksrat“ unter KPD Führung rief eine „Zweite Münchner Räterepublik“ aus, an der anfangs auch Gustav Landauer beteiligt war. Drei Tage später erklärte er, enttäuscht von deren Politik, am 16.April 1919 seinen Rücktritt von all seinen politischen Funktionen und Ämtern in der Räterepublik.
Nach der gewaltsamen Niederschlagung der Münchner Räterepublik durch Reichswehr und Freikorpsverbände wird Landauer am 1.Mai 1919 in München verhaftet und einen Tag später im Zuchthaus Stadelheim von Soldaten ermordet.
https://youtu.be/RalDNrjEol0> (Ernst Toller: Die Mauer der Erschossenen)
Zwei andere hatte die revolutionäre Begeisterung nach Deutschland gelockt. Milly Witkop und Rudolf Rocker kamen von London nach Berlin. Rocker wird mit einer „Prinzipienerklärung des Syndikalismus“ im Dezember 1919 die Gründung der „FAUD“ einleiten.
„Die Syndikalisten, in klarer Erkenntnis der oben festgestellten Tatsachen, sind prinzipielle Gegner jeder Monopolwirtschaft. Sie erstreben die Vergesellschaftung des Bodens, der Arbeitsinstrumente, der Rohstoffe und aller sozialen Reichtümer; die Reorganisation des gesamten Wirtschaftslebens auf der Basis des freien, d.h. des staatenlosen Kommunismus, der in der Devise: „jeder nach seinen Fähigkeiten, jeder nach, seinen Bedürfnissen!“ seinen Ausdruck findet.“(Rocker)
Rocker gibt das „FAUD“ Organ „Der Syndikalist“ heraus und arbeitete eng mit der sogenannten Geschäftskomission – Helmut Rüdiger, Fritz Kater und Augustin Souchy– zusammen. Die Wohnung von Milly und Rocker in Berlin wird zu einer Zentrale des internationalen Anarchosyndikalismus. Nestor MachnowDurutti und andere finden hier Zuflucht und Hilfe.
1933 müssen Milly Witkop und Rudolf Rocker selber flüchten. Über die Schweiz gehen sie in die USA:
Als Teil der anarchosyndikalistischen Bewegung entstand 1920 der „Syndikalistische Frauenbund“. Milly Witkop war einer der Protagonistinnen, die nicht nur Arbeiterinnen, sondern auch nicht erwerbsfähige Frauen, Hausfrauen und Mütter organisierten. So lag der Schwerpunkt auf dem Reproduktionsbereich, das Private wurde politisch.
Die Menschheit kann im allgemeinen nicht frei werden, bevor wir Frauen frei sind. Und die Menschheit wird nur frei sein in einer Gesellschaft, die keine Lohnarbeit, keinen Geldbetrug und keine kapitalistische Ausbeutung mehr kennt. In dieser Gesellschaft wird es auch keine regierenden Männer mehr geben.
Eine solche Gesellschaft will der Syndikalismus errichten. Der Syndikalismus will an die Stelle der heutigen unhaltbaren Verhältnisse den Wohlstand für Alle setzen, indem alle Nichtstuer und alle Schmarotzer beseitigt und unmöglich gemacht werden
.“
Viele der syndikalistischen Männer sahen das etwas anders. Nicht nur, daß mehr Männer als Frauen bei den Treffen der Frauenbünde anwesend waren, sondern es wurde auch die Notwendigkeit dieser eigenen Organisierung in Frage gestellt.
Wenn auch 1925 formal anerkannt , lösten sich die meisten Frauenbünde ein Jahr später wieder auf.
Die „FAUD“ hatte da schon ihre Hochphase überschritten. Auch wenn ihre Mitglieder beim „Ruhraufstand“ eine wichtige Rolle spielten, konnte sich die FAUD nicht richtig durchsetzen. In dieser Zeit allerdings entstand eine lebendige, libertäre Bewegung, die sich in Jugendorganisationen, einer anarchistischen Föderation bis hin zu Kommunen und Siedlungen wider spiegelten. Hochburg der FAUD war das Ruhrgebiet, hier vor allem Dortmund-Mengende, wo sich über 1000 Menschen der Organisation anschlossen – vorwiegend Bergleute, erprobt in den autonomen Bergarbeiteraufständen zuvor – die dann auch die ersten Bataillone der „Roten Ruhrarmee“ aufstellten.
Am 13.März 1920 putschte der Politiker Kapp. Mit Unterstützung des Reichswehrgenerals von Lüttwitz und der Marinebrigade Ehrhardt marschierten sie mit rot-weiss-rotem Banner und Hakenkreuzen auf dem Stahlhelm auf Berlin zu. Die SPD Regierung verpisste sich
Die Arbeiter*innen jedoch reagierten mit Generalstreik und der „Roten Ruhr Armee“. Nach 5 Tagen flüchteten die Putschisten, doch die Arbeiter*innen legten die Waffen nicht nieder. Max Hölz rief in Plauen die „Räterepublik“ aus. Überall sollte nun doch die gescheiterte Novemberrevolution realisiert werden.
Das passte der nun wieder mutig gewordenen Reichsregierung überhaupt nicht.
Mit Hilfe der gestern noch verpönnten Freikorps von Kapp und Erhardt kämpfte nun die Regierung gegen die Arbeiter*innen.
Die Farbe hat gewechselt – nun schwarz-rot-gold – die Hakenkreuze blieben.
Am 3.April 1920 marschierten die nun Verbündeten erneut ins Ruhrgebiet. 18 Tage dauerte der Widerstand gegen sie. Am Ende herrschte das Standgericht der Freikorps.

 

(Musikvideo zu „1920″ -Grenzgänger )      https://youtu.be/1lHWxwIW__s
—- Originalmanuscript von Juli 2011 —
******
(wird fortgesetzt: 2.Teil- Pilger und Schwarze Scharen )

Jul 25 2020

Polizei — brauchen wir nicht! Vorerst 13 Gründe für dich, nicht die Polizei zu holen ….

 Die Polizei zu rufen, führt häufig zu einer Eskalation der Situation, setzt Menschen Risiken aus und führt zu  Gewalt. Jedes mal, wenn du Hilfe von der Polizei suchst, lädst du sie in deine Community ein und bringst  Leute, die möglicherweise schon gefährdet sind, in eine schwierige Situation. Manchmal haben Menschen das  Gefühl, die Polizei zu rufen, sei der einzige Weg mit Problemen umzugehen. 

Dem ist nicht so. Wir können z.B.  vertrauenswürdige Netzwerke gegenseitiger Hilfe aufbauen, welche uns erlauben, Konflikte selber zu klären,  während wir die Polizei aus unserer Nachbarschaft heraushalten. 

 1. Fühl dich nicht verpflichtet, Eigentum zu verteidigen, insbesondere kein Firmeneigentum. Bevor du jemand  konfrontierst oder dich an die Polizei wendest, frag dich ob jemand durch die Sachbeschädigung oder den  “Diebstahl” verletzt oder gefährdet wird. Ist die Antwort nein, dann lass es sein
  2. Wurde dir etwas gestohlen und du brauchst eine polizeiliche Bestätigung für die Versicherung, kannst du  auf die Wache gehen, statt 110 zu rufen. Ansonsten setzt du möglicherweise versehentlich jemanden aus  deinem Umfeld einem Risiko aus. 
 3. Wenn du jemanden beobachtest, dessen Verhalten dir seltsam erscheint, gehe nicht davon aus, dass diese  Person öffentlich intoxiniert (z.b. betrunken) ist. Möglicherweise hat die Person eine traumatische  Hirnverletzung oder eine psychische Erkrankung. Frag ob es ihr gut geht und ob sie Hilfe benötigt.
 4. Siehst du jemand, der Probleme mit dem Auto hat, halte an und frag, ob Hilfe benötigt wird oder ob du  einen Abschleppwagen rufen sollst. Wird die Polizei in solchen Situationen hinzugezogen, kann sie der  Personen mit dem Autoproblem z.B. unnötige Strafzettel ausstellen. Personen die keine Papiere besitzen,  kann noch weit Schlimmeres passieren




  5. Speicher dir die Nummern von zivilen Hilfsdiensten wie Selbstmord-Hotline ein. Da die Wahrscheinlichkeit,  dass Menschen mit psychischen Erkrankungen von Polizisten getötet werden, 16 Mal höher ist, als bei  Menschen ohne psychische Probleme, solltest du die Polizei nicht rufen.
  6. Denk nochmal über deinen Impuls nach, die Polizei wegen Person zu rufen, deren Verhalten oder Aussehen  dir verdächtig vorkommen. Beeinflussen deren Geschlecht, vermeintliche Herkunft, sozialer Status oder  Wohnsitz-Situation dein Gefühl? Solche Anrufe können Todesurteile für Menschen sein.
  7. Ermutige Lehrer*innen, Mitarbeiter*innen und Organisator*innen, die Polizei nicht in Klassenräume,  Arbeitsplätze und öffentliche Räume einzuladen. Versuch stattdessen, ein Umfeld und eine Kultur zu  schaffen, in der die Menschen gegenseitig aufeinander achten und sich nicht unabsichtlich in Gefahr  bringen. Bist du Teil einer Gruppe, die Kundgebungen oder Demonstrationen abhält, beantrage nach  Möglichkeit keine Genehmigung und arbeite auch sonst nicht mit der Polizei zusammen.


 8. Veranstalten deine Nachbarinnen eine Party und der Lärm stört dich, geh rüber und sprich mit ihnen. Ist  dir das zu viel, frag deine anderen Nachbar*innen nach Hilfe.
  9. Siehst du jemanden öffentlich urinieren, guck einfach weg. Bedenke, dass viele Obdachlose keinen Zugang  zu Toiletten haben
 10. Veranstaltet, je nach deinem Kenntnisstand, Konfliktlösungs-, Erste-Hilfe-, Sanitäter-, oder  Selbstverteidigungs-Workshops in deiner Nachbarschaft, Schule, am Arbeitsplatz oder in deinem sonstigen  Umfeld, oder nimm an solchen Teil!

  11. Street Art ist großartig! Melde keine Graffiti oder andere Straßenkünstler. Siehst du Dinge, die faschistoides  oder anderweitig diskriminierendes Gedankengut enthalten, male sie alleine oder mit Freundinnen über.
  12. Denk daran, dass die Polizei häusliche Gewalt weiter zum Eskalieren bringen kann. Biete Freundinnen und  Nachbarinnen die Opfer von Misshandlungen werden, Unterstützung an, indem du ihn z.B. einen  Rückzugsraum und eine Bleibe, eine Fahrt zu einem sicheren Ort oder die Betreuung ihrer Kinder  ermöglichst. Nutze öffentliche Ressourcen, wie sichere Häuser und Hotlines
 13. Bedenke, dass wenn du die Polizei rufst, um irgendetwas zu melden, es bedeuten kann, dass du als Zeugin  vor Gericht erscheinen musst – und dort mit Pech auch noch von der Zeug*in zur Täter*in gemacht wirst.

  Besser als 110 z. B. bei Gewalt gegen Frauen: 08000 116 106   Notfallseelsorge (auch Suizidprävention): 1110111  Nummer gegen Kummer (für Jugendliche): 116111

Danke an das May Day Collective und Solidarity & Defense für den Originaltext!  Keine Polizei, keine Probleme. 1312.  Vorträge zu politischen Narrativen: @pupsbakunin 🐦 Für #1WeltOhnePolizei


Jul 25 2020

Hello world!

Welcome to Blackblogs. This is your first post. Edit or delete it, then start blogging!