Anarchismus und Revolution in Mexiko- 1.Teil: Die soziale Revolution macht nur eine kleine Pause,,
Anarchismus und Revolution in Mexico – 1.Teil !
Colonia Guerrero in Mexico D.F., im Norden die Calle Ricardo Flores Magón —- Strassen mit seinem Namen gibt es inzwischen in ganz Mexico, vor allem im Süden des Landes, in dem er 1874 im Bundesland Oaxaca geboren wurde. Dort ist seine Name so präsent wie vielleicht nie zuvor.
Ricardo wuchs im so genannten „Porfiriat“ auf. Dieser Begriff bezieht sich auf die über 30 jährige Amtszeit des Generals Porfirio Diaz, der 1876 durch einen Militärputsch Präsident wurde und den Reichtum der Großgrundbesitzer und der Kirchen erheblich verstärkte. Flores Magón beteiligte sich schon 1892 als Schüler an einer größeren Demonstration um anschließend zum ersten Mal inhaftiert zu werden. 8 Jahre später, da schon beeinflusst durch die Schriften von Kropotkin und Bakunin, gründete er die Zeitschrift „ Regeneración“.
Ihm wird da schon das Leben und das Wirken von Plotino Constantino Rhodakanaty bekannt gewesen sein, der nach John M. Hart wohl der erste Anarchist Mexikos sein war.
Plotino Constantino Rhodakanaty wurde am 14. Oktober 1828 in Athen geboren. Nachdem er an einem (gescheiterten) Aufstand in Ungarn teilgenommen hatte, musste er das Land verlassen, ging nach Berlin und 1850 nach Paris, um mit Proudhon über dessen Werk „Was ist Eigentum?“ zu sprechen. In dieser Zeit reifte bei ihm der Entschluss, eine sozialistische Kolonie in Mexiko zu organisieren.
In Mexiko gründete er dann eine Schule und gab die Utopie„Cartilla Socialista“ heraus, in denen er die Ideen von Fourier und Proudhon zugrundelegte.
„http://www.antorcha.net/biblioteca_virtual/politica/cartilla/cartilla.html„>
Während seiner Tätigkeit als Lehrer organisierte er Clubs, gab Zeitschriften heraus und gründete mit einigen seiner Studenten die mexikanische Filiale der „1.Internationale“.
Dem gegenüber stand die politische Lage im Land. Nach dem Tode von Benito Juarez und der zwischenzeitlichen Präsidentschaft von Sebastian Lerdo de Tejada, war es nun Porfirio Diaz, der nun seit 1876 regierte.
Durch verschiedene Agrargesetze wurde aus jahrhundertealtem Gemeindeland , den „ejidos“ der Dorfgemeinschaften, nun wachsendes Kapital der Großgrundbesitzer, die Kleinbauern zu Saisonarbeiten oder zu so genannten „peones“ gezwungen (so etwas wie eine Schuldknechtschaft), die einem Sklavendasein ähnelte.
Aufkommender Widerstand wurde da erstmals durch die von den Großgrundbesitzern bezahlten paramilitärischen „Guardias blancas“ unterdrückt. Ausländische Gesellschaften sicherten sich mehr und mehr in Abstimmung mit der Diazregierung Zugriff auf die Bodenschätze, vor allem Erdöl.
Die mexikanische Bevölkerung, vor allem der größere indigene Teil, wurde schlichtweg als „minderwertig“ definiert, unfähig, das Land zu entwickeln.
Sehr bald stieg der Einfluss der ausländischen Gesellschafter, vor allem der der USA, was zu einer immer größeren Unzufriedenheit der nationalen Bourgeoisie führte.
1906 kommt es zu einem Aufstand der Kupferarbeiter in Sonora, im Nordwesten von Mexiko. Streikführer sind Mitglieder der liberalen Clubs. Der Besitzer, ein USamerikaner namens William Greene, lässt die Nationalgarde von Arizona auf die Streikenden los. Mehr als 100 Arbeiter werden massakriert. In den nächsten Jahren spielte das städtische Proletariat bis auf wenige löbliche Ausnahmen keine Rolle in der laufenden Revolution. 1912 vereinigten sie sich in der Zentralgewerkschaft „Casa del Obrero Mundial“ und verpflichteten sich zur Neutralität.
Obwohl einige von ihnen anarcho-syndikalistisch orientiert, arbeiteten sie mit dem liberalen Bürgertum zusammen. Es war eine Liaison auf Gegenseitigkeit., die dazu führte, dass die meisten Arbeiter als „rote Bataillone“ 1915 gegen die soziale Revolution eingesetzt wurden.
Ein Jahr später bezahlten sie für diese Handlungen einen hohen Preis. Ihre (ehemaligen) Verbündeten stürmten das Gebäude der Casa, der erste Generalstreik in der Geschichte Mexikos wurde blutig unterdrückt.
Nach 1906 mehrten sich im liberalen Lager die Stimmen, die auf eine Ablösung von Porfirio Diaz drängten. Bei ihnen Ricardo Flores Magón, der in seinem Exil in Texas mit dem Slogan „ Reform – Freiheit – Gerechtigkeit“ eine der treibenden Kräfte geworden war. Er gründete mit Gleichgesinnten, dabei zwei seiner Brüder, die „PLM – Partido Liberal de México“, wo sich viele Bevölkerungsschichten wieder finden konnten. Mit Flugblättern, Plakaten und vor allem Schriften wurde zur Beseitigung der Diaz-Diktatur aufgerufen. Die nachfolgenden Repressionen entfachten eine Menge von Demonstrationen und militanten Auseinandersetzungen.
Im Frühjahr 1910 einigte sich die Opposition auf Francisco Madero als offiziellen Gegenkandidaten. Ricardo Flores Magón distanzierte sich in der „Regeneración“ eindeutig von Madero und seiner politischen Richtung.:
„Regierungen verteidigen vor allem anderen das Recht auf Besitz. Glaubt nicht dass Madero das Recht auf Besitz zum Vorteil des Proletariats angreifen wird. Öffnet eure Augen ! Die Emanzipation des Arbeiters kann nur das Werk des Arbeiters selbst sein.“
Die „PLM“ hatte inzwischen ihr Motto geändert. „Tierra y libertad“ wurde die Losung die später von Zapata und Villa aufgegriffen und bis heute mit der mexikanischen Revolution verbunden bleibt.
Zwischen 1910 und 1920 wurde nun Mexiko durch eine Serie von Kämpfen und Revolten erschüttert, die versuchten, das politische und soziale System des Porfiriats umzuwandeln.
Bei diesen Kämpfen griffen immer mehr Frauen aktiv in das revolutionäre Geschehen ein. Ohne rechtlichen Status, ohne Selbstverantwortung und ohne Selbstbestimmung im Alltag traten sie nun als „Soldaderas“ weit aus dem Schatten.
Als Symbolfigur für all diese Frauen entstand die legendäre, aber eher fiktive Figur der „Adelita“, die in vielen Lieder und Tänzen in Mexiko berühmt ist und in der Frauenbewegung als Symbol für Mut und Kraft gilt.
Hier seien kurz Margarita Ortega http://radiochiflado.blogsport.de/2012/02/03/margarita-la-magonista/“>
und Dolores Jimenez y Muro genannt.
Dolores war Redakteurin von „La mujer mexicana“ und wurde 1910 wegen ihren Aktivitäten gegen die Diazdiktatur mehrmals festgenommen und inhaftiert. Aus der Gefängniszelle heraus gründete sie „Regeneracion y Concordia“, wo sie sich vor allem für die Rechte der Indigenen und Frauen einsetzte. Später kämpfte sie in der Armee von Emiliano Zapata und gehörte zu deren inneren Kreis.
(Magonisten 1911 in Tijuana)
Im Januar 1911 initiierten die Brüder Flores Magón den Aufstand in Baja California und eroberten Mexicali und später Tijuana, um dort so etwas wie eine anarchistische Republik aufzubauen. Zur gleichen Zeit leitete Emiliano Zapata einen Aufstand in Morelos, südlich der Hauptstadt.
In diesen Jahren werden die verschiedenen Interessen der mexikanischen Revolution deutlich. Da sind zum einen die bürgerlich-liberalen, die eine Absetzung von Porfirio Diaz fordern, mit jedem zusammenarbeiten, um sie anschließend zu liquidieren und sich in einem Personenkarussell von Madero über Huerta und Carranza um die Regierungsmacht streiten. Und die verschiedenen sozialrevolutionären Aufstände von Zapata und Villa, die sich den Norden und den Süden quasi aufgeteilt haben sowie die Magonisten, die immer mittendrin und dabei in ihren Kämpfen den libertären Sozialismus propagieren.
Am 18.Juli 1911 werden sie von Maderos Truppen in Mexicali und vier Tage später in Tijuana bekämpft. Ricardo muss flüchten und wird erneut in den USA inhaftiert. Im gleichen Jahr veröffentlichen sie ihr neues Manifest „Tierra y libertad“:
„Solange es Arme und Reiche gibt, Regierende und Regierte, wird es keinen Frieden geben. Ein jeder sein eigener Herr. Alles muss durch gegenseitige Zustimmung der freien Individuen geregelt werden. Tod der Sklaverei ! Tod dem Hunger ! Es lebe Land und Freiheit.“
Im Plan von Ayala formulierte Zapata wenige Monate später sein Programm für die „Revolution des Südens“, was neben der Rückgabe der „ejidos“ auch eine Aufteilung von einem Drittel des Großgrundbesitzes und eine Enteignung von Revolutionsgegner vorsah, aber in der Realität eher alte Besitzverhältnisse restaurierte, statt eine wie von den Magonisten geforderte radikale Landreform durchzuführen – nach dem heute sehr bekannten Motto: „Todo para todos – nada para nosotros.“
„Arbeitet ihr gemeinsam, werdet ihr weniger arbeiten und mehr ernten. Wenn ihr aber das Land aufteilt, lauft ihr Gefahr, dass sich das Land Schritt für Schritt wieder in einigen wenigen Händen konzentriert und ihr damit eure Kinder dazu verdammt, eine neue Revolution durchzuführen, um das Land endgültig zu enteignen.“
Regional begrenzt und ohne weitergehenden Forderungen wird das zapatistische Gebiet um Morelos zwar unabhängig von der Zentralregierung, aber auch leichter zu bekämpfen.
1913 brechen die Konflikte zwischen den einzelnen Machtinteressen aus und es beginnt so etwas wie ein „Bürgerkrieg“. Von nun an bestimmen Verrat und gegenseitige Attentate die weitere Geschichte.
Nach dem Mord an Madero gab es weitere Kämpfe, in denen letztendlich Carranza triumphierte, der die Verfassung von 1917 als entscheidenden Schritt für die postrevolutionäre Zukunft verkündete.
Ricardo und Enrico Flores Magon werden in den USA, die inzwischen offen Carranza unterstützt, vor Gericht gestellt und 1916 zu Gefängnis und Geldstrafen verurteilt. Kautionen, die u.a. von Emma Goldmann gesammelt werden, helfen ihnen da erstmal raus.
Carranza als Präsident von Mexiko lässt die Casa del Obrero Mundial schließen, sie hat ihre Schuldigkeit getan, adios ! 1917 verabschiedet sein Kabinett eine neue Verfassung. Bürgerliche Historiker mögen sie „fortschrittlich“ nennen. So gibt es z.B. einen Artikel zur „Nationalisierung der Bodenschätze“ oder eine „Agrar-und Sozialgesetzgebung“, aber wir werden noch lesen, was davon in Wirklichkeit zu halten war. Die sozialrevolutionären Forderungen, die während der Revolution erhoben waren, blieben jedenfalls unerfüllt.
Für die Nationalrevolutionäre war die Revolution nun zu Ende. Es beginnt die Evolution der Parteiendiktatur der PRI. Vorher allerdings galt es noch den Rest zu entsorgen.
1919 wird Zapata ermordet, Pancho Villa auf seiner Farm 1923.
Ein Jahr zuvor gründete sich die anarcho-syndikalistische CGT(Confederación General de Trabajadores).Mexikos, diesmal wirklich unabhängig. Im ganzen Land streikten die Arbeiter, boykottierten USamerikanische Waren und forderten die Freilassung der wieder mal inhaftierten Brüder Flores Magón.
Am 22.November 1922 wird Ricardo Flores Magón, Anarchokommunist und libertärer Visionär der mexikanischen Revolution, in seiner Gefängniszelle ermordet.
Der CGT stand in dieser Zeit der von der Carranzaregierung geförderten und kontrollierten CROM (Confederación Regional Obrera Mexicana) gegenüber, deren Führer, Morones, zur gleichen Zeit auch Arbeitsminister der Regierung war.
Enrique Flores Magón, geboren am 13.4. 1877, war der jüngste der drei Magónbrüder. Weniger Visionär, mehr Kämpfer, widmete er sich vor allem dem Journalismus und veröffentlichte während der Díazdiktatur zeitweise Zeitschriften mit solch illustren Namen wie „Sohn des Fluches“,“Vater des Fluches“, „Skorpion“. Von ihm stammt der Text der Revolutionshyme „Tierra y Libertad“.
„Proletarier/stürzen wir die niederträchtige Konstruktion/ des bürgerlichen Systems/ das unterdrückt/es wird Zeit daß wir frei sind/ und aufhören zu leiden/alle gleich und Geschwister/mit demselben Recht zu leben –
Proletarier/hebt eure Stirn/ brecht die Ketten der Sklaverei/ und verkünden wir die neuen Ideen“
Auch er war einige Jahre in USamerikanischer Haft. Seine Entlassung und Rückkehr nach Mexiko waren für ihn alles andere als erfreulich – kehrte er doch nur noch mit der Leiche seines Bruders Ricardo zurück. Er trat sofort der CGT bei und organisierte viel vor allem im ländlichen Bereich. Nur wenige Monate vorher war in Berlin u.a. von Rudolf Rocker die „Internationale Arbeiterassoziation“ als Zusammenschluss anarchosyndikalistischer Gewerkschaften gegründet worden.
Enrique und die CGT gehörten zu den Gründungsmitgliedern. 1925 schrieb er in der Zeitschrift „protesta“ unvermindert kämpferisch:
„Die soziale Revolution in Mexiko ist noch nicht zu Ende. Sie nimmt nur eine kleine Pause. Mit jedem weiteren Machthaber finden unsere Ideen immer mehr fruchtbaren Boden. Je mehr sie anbieten, ohne etwas zu erfüllen, umso größer werden die Reihen derer, die eine soziale Revolution wollen.“
Die nächsten Präsidenten agierten dann auch dementsprechend. Carranza, der die Reformversprechen nicht erfüllte, wurde in einem von General Obregon organisierten so genannten „Volksaufstand“ abgesetzt und auf der Flucht erschossen. Mit Interim de la Huerta und noch mal Obregon beginnt einer 14jährige Herrschaft der „Sonoristas“, eine Clique von Militärs aus dem Bundesstaat Sonora. Ehemalige Diazanhänger werden rehabilitiert, auf der anderen Seite gelingt es, die ehemaligen Befreiungsarmee des Südens , also die von Zapata, zu integrieren. Weitere Putsche, weitere Sonoristas.
1929 gründet Elías Calles die Vorläuferin der PRI, die PNR (Partido Nacional Revolucionario), die nationalrevolutionäre Partei. Er wird so etwas wie der „jefe maximo“ der mexikanischen Politik.1934 beendet Lázaro Cardenas die Macht von Sonora und sorgt für einen starken Reformkurs.
Währenddessen wuchs die Mitgliederzahl der CGT und sie schien eine starke Kraft in der Arbeiterbewegung zu werden. Viele CROM Mitglieder, enttäuscht von den Manipulationen und Korruptionen ihrer obersten Führer, waren herübergewechselt. Die CGT wuchs so schnell auf 80 000 Mitglieder.
Doch der plötzliche Wechsel vieler ideologisch unerfahrenen Arbeiter mitsamt ihren Führern schuf auch Missbehagen und schlechte Erinnerungen. 1931 zog dann auch eine Gruppe Marxisten wie andere radikale Führer einen Grossteil der Syndikate wieder aus der CGT heraus , weil sie mit der nun gefestigten und sozial aktiven Cardenasregierung zusammenarbeiten wollten. In einer „Sozialpartnertschaft“ genannten Liasion, die verdammt an die Casa del Obrero während der Revolution erinnert, wird die CGT nun marginalisiert.
„http://youtu.be/yaRpFj9VEwI“> (Dokumentation zur mexikanischen Revolution – in spanisch)
Viele ihrer Ideen und Kampfformen finden sich jedoch später durch Überlebende der CGT( z.b. Jacinto Huitrón) bei der „Federación Anarquista Mexicana (FAM)“ wieder.
„Para aliviar las miserias del que sufren no hace falta pedir permiso a nadie”( Um das Elend der Betroffenen zu lindern ist nicht erforderlich, dafür um Erlaubnis zu fragen )
(Jacinto Huitrón)