Die Arbeiter*innen der Nacht …. 1. Matthias Kneißl

„Ich kann mich nicht beugen „

Die „Arbeiter der Nacht“ nannte sich eine Gruppe um Alexandre Marius Jacob, die zwischen 1901 – 1903 wohl an die 1000 Einbrüche tätigten … beim Adel, Vertreter*innen der Industrie, Ausbeutern … finanziert wurden sozialrevolutionäre Organisationen , Arbeiter und ihre Familien…ein Teil wurde für weitere Aktionen gebraucht

https://syndikalismus.wordpress.com/2011/11/25/eure-brieftaschen-genugen-nicht-mehr/   (Radio Chiflado zu Alexandre Marius Jacob)

Arbeiter*innen der Nacht“ nennen wir deshalb unsere Serie von Frauen und Männern, die für die Herrschenden Banditen, Kriminelle, Räuber*innen waren — für die Beherrschten und Unterdrückten, die Armen und Ausgegrenzten aber oft zu sozialen Rebell*innen mystifiziert wurden und gefeiert, weil sie „zurückholten, was von einigen wenigen angeeignet worden war“ – und diesen damit den (sozialen) Krieg erklärten.
Es sind Frauen und Männer verschiedener Zeiten und Kontinente – wie Johann Breitweiser aus Österreich, Anny Bonny und Mary Read als Piratinnen gegen die großen Handelsflotten (und patriarchalischen Denkweisen) oder auch Michelina de Cesare als Brigantin in einem „Krieg der Armen“ gegen den sich bildenden Nationalstaat Italien.

Beginnen wollen wir aber mit Mathias Kneißl

 

Die Zeit und der Ort, in denen Matthias Kneißl am 12.Mai 1875 in einem Dorf im bayerischen Glonntal hineingeboren wurde, waren eine Welt der Umbrüche und des brutalen Kampfes um die tägliche Existenz. In dieser Zeit begann auch im Königreich Bayern die Industrialisierung, viele Tagelöhner strömten in die Städte, vor allem nach München.
Aber Bayern war auch ein Land, wo das Militärische in hohem Ansehen stand. Wer fürs Vaterland und den König getötet und gedient hatte, war hoch angesehen und hatte ausgesorgt. So trugen sie alle voller Stolz und Brutalität auch im Alltag ihre Uniformen: der Postbote, der Eisenbahner usw.
Der letzte Arm dieser Staatsmacht im Königreich war auf dem Land der Gendarm. Dieser kam meist vom aktiven Militär und sollte nun für „Ordnung“ und „Gesetzestreue“ sorgen, den Willen einer Herrschaft durchsetzen, die von den Bauern nur noch als schikanös empfunden wurde. Diese Gendarmen sorgten auch für die Durchsetzung der Interessen lokaler „Autoritäten“, ob Schlossherr, Pfarrer oder Lehrer und lagen so immer in Konflikt mit den Bauern, die mehr und mehr durch Landraub oder Betrug zu Leibeigenen geworden waren. Einen zuerst versteckten, dann später mehr und mehr offenen Krieg führten sie besonders mit Matthias Kneißl und seiner Familie.

I bi vo Weikatshofa/ I sags ganz unscheniert/ Mei Vata war a Müller/ Da Paschkoliniwirt/ Mei Muatta war a Zweigerl/ Vom Paschkolini-Kern/ Sie liabt bis heut no allerweil/ Die junga Burschn gern/ Mei Vata hat a Müllei pacht/ Vom Sulzemooserschloß./ Da oa hat gstohln a Schaferl/ Da hama öfters gschlachtlt/ Guate Fraßerl hots da gebn/ Das war hoit in da Schachamuihl/ A ganz a lustigs Lebn.“ (Kneißl-lied)

Der „Paschkolini-Kern“ ist Johann Baptist Pascolini, der 1831 in Unterweikertshofen im Landkreis Dachau geboren wurde und sich zu einem professionellen Einbrecher und Räuber entwickelte, und 1871 mitten am Tag aus der Strafanstalt München-Au geflohen war, wo er 18 Jahre hätte einsitzen müssen. Er wurde in Dezember desselben Jahres nach einem versuchten Einbruch von seinem Kumpel bei der Flucht –wahrscheinlich versehentlich –am Kopf tödlich getroffen. Seine Schwester Therese war die Mutter von Matthias Kneißl, die zusammen mit seinem Vater, einem ehemaligen Müllerlehrling und Schreiner eine Mühle in der Nähe von Unterweikertshofen betrieben.
Dort wurde wohl nicht nur mit Mehl gehandelt, sondern war auch beliebter weil lohnenswerter Treffpunkt von Wilderen und Dieben. Tote Hirsche brachten viel Geld.

Wildern war zu dieser Zeit eine tägliche Praxis, von fast allen in den umliegenden Dörfern betrieben oder zumindest toleriert. Kirchenraub allerdings nicht.

Im September 1892 wurde die Wallfahrtskirche in Friedberg ausgeraubt. Kelche, Kerzenleuchter und weitere Reliquien gestohlen! Welch ein Frevel ! Die Mutter, Therese, wird einige Tage später in München festgenommen, als sie einige der Gegenstände verkaufen will. Daraufhin stürmt die Gendarmerie die Mühle und verhaftet den Vater, der vergebens zu fliehen versuchte. Auf dem Weg zum Gefängnis in Dachau wird dieser so schwer verprügelt, dass er wenig später in der Gefängniszelle stirbt. Die bayerische Polizei war schon immer nicht sehr wählerisch in ihren Mitteln.

Der Vater tot, die Mutter in Untersuchungshaft, um den jungen Matthias kümmert sich anfangs keine(r). Mit seinem Bruder Alois streift er durch die Gegend, lebt von kleineren Diebstählen, ernährt seine Geschwister durch Wildern in den nahe liegenden Wäldern, die damals dem Baron von Schaezler gehörten – durch Betrug an den Bauern zum “Eigentümer“ geworden.

Auch der Dorfpfarrer, die gesetzliche Schulaufsicht, hielt die Kneißlbrüder an der Leine und die hieß: Schulzwang. Es war damals in Bayern üblich, dass die Kinder sieben Jahre in die Volksschule gehen mussten und anschließend drei Jahre in die so genannte „Volksfortbildungsschule.“ Diese war wöchentlich einmal, und zwar am Sonntag. Sie wurde deshalb auch „Feiertagsschule“ genannt. In diese Feiertagsschule musste nach seiner Entlassung aus der Volksschule auch der Kneißl Matthias gehen. In einem Zimmer eingesperrt, die Hände auf die Bank, die Augen nach vorne zum Lehrer*innenpult– oft genug waren die Kneißlbrüder dem entwischt.
Nun schickte der Pfarrer zwei Gendarmen los, um Matthias und Alois wieder in die Schule zu zwingen. Gendarmen – die die ihren Vater totgeschlagen hatten, Gendarmen, die verhassten Erfüllungsgehilfen von Königshaus, Großgrundbesitzern und Kirche.

Als die Polizisten am 2. November 1892 die Mühle betreten, werden sie von Alois und einem anwesenden Freund mit Gewehrfeuer empfangen, bleiben schwer verletzt liegen. Nach Tagen der Flucht werden Alois Kneissl und Joseph Schreck festgenommen, zu 16 bzw. 12 Jahren Zuchthaus verurteilt.
Zwei Wochen später wird Matthias Kneissl festgenommen. Obwohl er keine Schüsse abgegeben hatte, wurde er wegen Mordversuch, schwerem Diebstahl, Raub, Bedrohung und Jagdvergehen zu einer Gefängnisstrafe von sieben Jahren verurteilt.
Leute wie er hatten die sozialen Grenzen und die Ordnung des Königreichs Bayern zu akzeptieren – viel hat sich nicht bis heute dort geändert.

Matthias Kneissl muss die vollen sieben Jahre in lichtlosen Verliesen bleiben, physisch und psychisch angeschlagen geht er anschließend nach München, wo inzwischen seine Mutter wohnt.
Dort gelang es ihm nicht, längere Zeit eine Arbeit als Schreiner zu finden. Überall tauchten die Gendarmen auf und machten in großen Übertreibungen die Haft und die Gründe der Haft öffentlich.

Er antwortet mit Raubüberfällen, entwendet bei einem reichen Hopfenbauern Pfandbriefe. Bei dem Versuch, sie weiterzuverkaufen, wird er denunziert, kann aber flüchten – diesmal allerdings schießt er selbst. Zwei Gendarmen stehen nie wieder auf.

Nun beginnt eine regelrechte Hetzjagd. Im ganzen Königreich Bayern hängt sein Steckbrief. Er hatte nicht Bauern getötet, sondern Vertreter der Staatsmacht. Das Kopfgeld wird auf 1000 Mark erhöht. Telegramme gehen an die Polizeibehörden von Berlin, Frankfurt und Salzburg, an die Hafendirektionen von Bremen, Hamburg, Triest und Genua. Alls Hausierer getarnte Beamte durchkämmen das Land. Die Polizei sperrt Straßen und bewacht Kreuzungen, kreist Waldstücke ein und beschattet Kneißls Mutter in München. Aus dem Räuber wurde ein Staatsfeind .Im Frühjahr 1901 wird er dann von 70 Polizisten umstellt.

Zum Invalid‘n hab‘ns‘n g’schoss‘n, des is ja wohlbekannt/ Und daß’s an Hias‘l g‘fanga hab‘n, des woaß des ganze Land/ Auf da Bahre hab‘ns‘n transportiert, a 6 an 8 Schandarm/ des gibt ja in da Münchna Stodt an fürchterlichen Alarm.“(Kneißlied)

Am 5. März, in der Früh wird Schiessbefehl erteilt. Eine Stunde lang schießen die Gendarmen auf das Versteck, einen kleinen Bauernhof in Geisenhofen (Landkreis Fürstenfeldbruck), durchschlagen Fenster und Türen. Als sie das Haus stürmen, finden sie auf dem Dachboden den schwer verletzten Matthias, der keinen einzigen Schuss abgegeben hatte. Den rechten Arm und die linke Hand zerschossen, eine Kugel im Bauch, lag er zusammenkauert hinter einem Kamin. Auf dem Weg ins Krankenhaus wird er von den Polizisten geschlagen und getreten. Die Ärzte retten ihm das Leben – damit er vor Gericht gestellt werden kann. Vier Monate bleibt er in der Chirurgie in München.

Am 14.November 1901 beginnt der Prozess gegen Mathias Kneißl vor dem Oberlandesgericht in Augsburg

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Matthias Kneissl wird bis heute wie ein „Bayerischer Robin Hood“ gefeiert.
Geschenke an die Armen habe er gemacht, das Diebesgut geteilt. Oft geschah dies aber auch aus einer persönlichen Notwendigkeit. Die Verfolgung durch die bayerische Polizei, der Hass der Obrigkeit und das damit vermittelte Gefühl, in Bayern nicht gewollt zu sein, forderten Hilfe und Solidarität. Viele nahmen dadurch selber ein großes Risiko auf sich, denn wer einem polizeilich Gesuchten ein Nachtlager anbot, wurde selbst hart bestraft. Umsonst war es daher oft nicht, Kerzenleuchter oder Wild dann Kneissls Währung.

Aber dass er der Obrigkeit getrotzt hatte, sich angelegt hatte mit den „Betrügern da oben“, das Herz am rechten Fleck habe, imponierte vielen.

Die Gendarmen waren auf den oberbayerischen Dörfern unbeliebt. Denn viele von ihnen kamen aus Franken und Franken lag für sie in Preußen und sie verkörperten in ihrer brutalen und autoritären Art die „hohen Herren aus der Stadt“.
Postkarten wurden gedruckt, Flugblätter auf Kneissl, der der Polizei immer wieder entwischt war. In den Kneipen sangen sie Spottlieder auf die Polizei, Matthias Kneissl wurde so schon zu Lebzeiten zur Legende, ein Einzelkämpfer für die Gerechtigkeit.

Der Weg vom Gefängnis zum Justizpalast und der Platz davor waren dicht mit Neugierigen und sollte es die nächsten vier Tage bleiben. Das Urteil dann: Matthias Kneissl wird zum Tode durch das Fallbeil verurteilt. Sein Henker ist Franz Xaver Reichhard, dessen Neffe 1943 Widerstandskämpfer*innen der „Weißen Rose“ hinrichtet.

Es war an einem Montag, vor gar nicht so langer Zeit/ Die Vögel haben nicht gesungen, und die Glocken haben nicht geläutet/ Da haben sie Mathias Kneißl zur Hinrichtung gefahren/ Im Rollstuhl, denn in seinem Rücken steckten die Kugeln der bayerischen Gendarmen/“Die Woche fängt ja gut an“ / Und der Henker zog ihm die Kapuze über den Kopf / Doch der Mathias war kaltblütig / Denn er wusste, dass er bald in den ewigen Wald muss/
Wo er in Frieden mit seiner Frau und seinem Kind leben kann/ Wo er sich nicht mehr verstecken muss, wo ihn kein Polizist finden kann/ Wo die Wälder voll sind mit Hirschen, Hasen und Rehen/
Wo er sich etwas zum Essen schießen kann, wo er im See baden kann/ Wo er so leben kann, wie es ihm passt, ohne Pfarrer und Bürgermeist/ Wo er gehen oder laufen kann, wie es ihm gefällt/ Natürlich haben sich die Leute vor seinem rußgeschwärzten Gesicht gefürchtet/ Doch wer genau hinsah, wusste: das ist eine ehrliche Haut/ Auch wenn die Polizei herumerzählt hat: „Passt auf, der Mann ist gefährlich“ / Doch wer ihn kannte, wusste: der Mann ist gut, der Mann ist ehrlich/ Oft hat er die Reichen bestohlen/ Aber er hat das Geld nie behalten, er hat es den Armen und Alten gegeben/ Er war einer von den Alten und Echten/ Aber er wurde wie ein Hund gejagt/ Er war einer von den Alten und ganz Großen/ Und darum haben sie ihn 1902 zum Krüppel geschossen/ Er war einer von den Alten und Echten/
Aber sie haben ihn sein Leben lang wie einen Hund gejagt/ Den Mathias Kneißl“
 (Georg Ringswandl – hier in einer hochdeutschen Übersetzung)

 

 

Ich kann kein Unrecht leiden. Ich kann mich nicht beugen, lieber geh ich selber zu Grunde“ waren die letzten Worte von Matthias Kneissl. Wir finden sie in Verfilmungen, in Erzählungen und Texten über ihn.


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