„Die Revolution wird verdunsten ..“! Der libertäre Franz Kafka
„Zuweilen aber begibt es sich, dass der Engel des Vergessens
selber die Spuren der früheren Welt aus unserem Gedächtnis zu tilgen vergisst, und
dann gespenstern in unseren Sinnen fragmentarische Erinnerungen an ein anderes Leben.
Sie treiben wie zerrissene Wolken über die Hügel und Täler der Seele, seltsam in die Geschehnisse unseres Alltags verwoben.“ (Slalom Asch)
Erste Erinnerung? Sein Vater war ein egoistischer, herrschsüchtiger Geschäftsmann, der Kinder und Frauen als Untergebene behandelte.
„In deinem Lehnstuhl regiertest du die Welt. Deine Meinung war wichtig. Jede andere verrückt, überspannt, meschugge, nicht normal.“
Franz Kafka blieb sein Leben lang auf Distanz. Die Vater-Sohn-Beziehung taucht in vielen seiner Werke auf und wird im „Brief an den Vater“ thematisiert.
Andere Erinnerungen: Prag, seine Geburtsstadt. Im Jahre 5643 des hebräischen Kalenders (1883) wird Franz Kafka am Rande des jüdischen Ghettos Ecke Karpfengasse geboren. In der Josefstadt, des fünften Stadtviertels.
Die Enge des Viertel machte Angst, Angst eingeschlossen zu werden – und schuf doch die wärmende Gemeinsamkeit eines Dorfes.
Als ab 1895 die so genannte Asanierung der Altstadt beginnt und in den nächsten 22 Jahren Haus für Haus abgerissen wird, schreibt Kafka:
„In uns liegen noch immer die dunklen Vierteln, geheimnisvollen Gänge, blinden Fenster, schmutzigen Höfe, lärmenden Kneipen und verschlossenen Gasthäuser. Wir gehen durch die breiten Strassen der neu erbauten Stadt, doch unsere Blicke und Schritte sind unsicher, Die ungesunde Art des alten jüdischen Viertels in uns ist viel wirklicher als die hygienische, neue Stadt um uns“
Nach dem Jurastudium landete er 1908 bei der „Arbeiterunfallversicherung“. Das Schicksal der Arbeiter bedrückte ihn und das Büro wird zum Schrecken.
„Entfremdet, bedeutungslos“ empfand er diese Brotarbeit. Allein dazu dienend, sich ohne finanzielle Sorgen dem Schreiben widmen zu können.
Dieses „dunkle Bürokratennest“ mit seinen gnadenlosen Verwaltungsvorschriften und Paragrafen.
„Mit einem Gefängnis hätte er sich abgefunden, als Gefangener enden, vielleicht ein Lebensziel. Aber hier war es ein Gitterkäfig –gleichgültig, herrisch, wie zu Hause. Der Gefangene ist eigentlich frei, der Käfig eigentlich offen.“
(aus: Aphorismen „http://www.digbib.org/Franz_Kafka_1883/Aphorismen?showall=1„>
Aber noch ist Kafka nicht der Vogel, „der vom Käfig gesucht wird“
Er begibt sich auf die Suche nach den „wilden Vögeln“, nimmt an anarchistischen Versammlungen teil, trifft sich im Club „Mladych“ (Club der Jugend), wird angezogen von den antimilitaristischen Versammlungen des Arbeiter*innenvereins „Vilem Körber“, liest Bakunin, Kropotkin, Reclus.
Sein Interesse an den Diskussionen lebhaft, sein eigenes Engagement bescheiden. „Klidas“, (Schweigekoloss) wird er dort genannt. Er nimmt an Protestversammlungen teil, bei einer wird er festgenommen, als er mitten zwischen den Schlagstöcken der Polizei einfach stehen bleibt.
«Alle streben doch nach dem Gesetz», sagt der Mann, «wieso kommt es, dass in den vielen Jahren niemand außer mir Einlass verlangt hat?»
Der Türhüter erkennt, dass der Mann schon an seinem Ende ist, und, um sein vergehendes Gehör noch zu erreichen, brüllt er ihn an:
«Hier konnte niemand sonst Einlass erhalten, denn dieser Eingang war nur für dich bestimmt. Ich gehe jetzt und schließe ihn.» (Kafka: Vor dem Gesetz)
„http://youtu.be/jQDi7SEmfs4″> (Parabel: Der Türhüter)
„Die Gesetze sind nicht allgemein bekannt. Sie werden heimlich von einer kleinen Gruppe edler Leute behalten, die über uns herrschen. Vom aller ersten Augenblick an wurden sie zum Vorteil dieser Noblen gemacht, die selber über dem Gesetz stehen“
Kafka ging mit Leidenschaft ins Kino, ins Theater. Von den anarchistischen Versammlungen kennt er Jaroslav Hasek und ist mit Begeisterung an der Gründung seiner anarchistischen Spasspartei dabei, der „Partei des gemäßigten Fortschritts in den Schranken des Gesetzes“.
Diese Partei tritt 1911 sogar zu den Wahlen an, bekommt 36 Stimmen ( „Jeder unserer Wähler bekommt ein kleines Taschenaquarium.“), und einen enorm hohen Bekanntheitsgrad.
Kafka bleibt von den anarchistischen Ideen inspiriert. Den Kapitalismus nennt er „ein System von Verbindungen der Abhängigkeit, wo alles hierarchisch arrangiert ist und alles in Ketten“.
Er bleibt aber auch skeptisch den Arbeiterorganisationen gegenüber.
„Da sind die Sekretärinnen, Bürokraten, gewerbsmäßigen Funktionäre, die modernen Sultane. Die Revolution wird verdunsten und alles was bleibt, ist der Schlamm von einer neuen Bürokratie. Die Ketten der gefolterten Menschen sind hier aus den offiziellen Papieren der Bürokraten gemacht.“
Das Hauptmerkmal in den Werken Kafkas ist der Autoritarismus, sind die Entscheidungen von oben, ohne Moral, ohne Ratio, ohne menschliche Regungen.
Doch statt zu einem Widerstand, zu einem Aufstand zu gelangen, blieb Kafka in einer düsteren Vision einer apokalyptischen Welt.
Kafka beschreibt die reale, bürgerliche – demokratische Welt, die in ihren autoritären Strukturen die Vorbereitung, ja die Voraussetzung für die Weiterentwicklung zum Holocaust in Deutschland oder auch zum Gulag in der Stalinära bildet.
Er hinterließ uns Schriften voll mit anarchistischen Ideen, einzigartigen Erkundungen in unsere Existenz und ein schonungsloses Aufdecken entfremdeter Arbeit, Kleinmut und Staatswillkür.