Mananarchist vs/ Intersektionalität und Transformativer Gerechtigkeit

Bei den Recherchen zum „Mananarchisten“ haben wir u.a. Text entdeckt. Es ist eine Übersetzung eines Gesprächs bei: http://www.newstatesman.com/laurie-penny/2013/11/discourse-brocialism,
das wir hier – gekürzt – wiedergeben wollen. Den Link für die komplette deutschsprachige Übersetzung findet ihr am Ende des Artikels.

 brocialism (bro + socialism): Sozialismus von/für Brüder/n, Freunde/n (männlich)
 manarachism (man + anarchism): Anarchismus von/für Männer/n; Macho-Anarchisten
 

 

 
 

 

 

 

Ein Dialog mit Richard Seymour zu der Frage, wie man die Tatsache, dass die Menschen aufgerührt werden müssen, mit der Tatsache in Einklang bringt, dass die Leute, die das Aufrühren übernehmen, so oft scheitern, wenn es darum geht, Frauen und Mädchen wie menschliche Wesen zu behandeln.
[…]
Richard Seymour: Meine Erfahrung ist, dass „brocialists“ nicht offen das Patriarchat umarmen; sie leugnen, dass es ein Problem ist. Oder sie minimieren. Sie lenken deine Aufmerksamkeit auf etwas anderes: Du solltest dich auf Klasse konzentrieren. Du bist spalterisch. Du bist Mittelklasse (Welch Horror!). Oder sie attackieren einen Strohmann-„Feminismus“, der angeblich „bürgerlich“ ist und nichts über Klasse oder andere Achsen der Unterdrückung zu sagen hat. Oder sie ignorieren ihn einfach. Für mich ist das ganz einfach. Offensichtlich wäre es schwierig, angesichts ihrer egalitären Verpflichtungen, eine geschlechtsspezifische Hierarchie offen zu verteidigen; aber ihre Abwehrhaltung diesem Thema gegenüber legt nahe, dass sie ein Herausfordern des Patriarchats mit einer Art von „Verlust“ für sich selbst assoziieren. Die Frage ist: Was haben sie zu verlieren?……

 ……Das System des Patriarchats bietet eine Menge materieller Entschädigungen und Vorteile für diejenigen, die es akzeptieren und sich mit ihm identifizieren. Für mich sind die Vergewaltigungswitze und die frauenfeindliche Sprache – all das ist einfach symbolische Gewalt, askriptive Abwertung, und offensichtlich in direktem Zusammenhang mit Bestrafung für Übertretung. Ob bewusst oder nicht, es ist eine Gelegenheit für männliches Bonding – das „unanständige“ Lachen – und die Produktion von einer Art von Männlichkeit. Es ist die Ausübung eines „Privilegs“ des Patriarchats. Natürlich wollen oder mögen nicht alle Männer ein solches „Privileg“. Aber damit es wirksam sein kann, muss eine recht große Anzahl von Männern und Frauen seine Unvermeidlichkeit, seine Natürlichkeit akzeptieren.

Also ich denke, die „brocialistische“ Verleugnung, das Vortäuschen, dass Sexismus keine Rolle spiele oder eine Ablenkung sei, ist eine natürliche Bewältigungsstrategie für die, die wirklich denken, sie wollen die totale Befreiung, die aber noch nicht mit ihrem „Privileg“ gebrochen haben.
Laurie Penny: Es ist sehr klar, dass die Diskussion hier über das, was wir „brocialism“ nennen weit  geht. Weder ist es einzigartig in der organisierten Linken – chaotischer Cousin des Brocialisten ist, natürlich, der Manarchist, der viele der gleichen Eigenschaften zeigt in Bezug auf die Blindheit für Privilegien, sorglosen Sexismus und eine Weigerung, strukturelle geschlechtsspezifische Unterdrückung anzuerkennen, hat aber eine etwas andere Leseliste und eine noch monochromere Garderobe. […]
Richard Seymour: […] Ich persönlich habe kein Problem mit gewählten „Führern“, sofern sie tatsächlich verantwortlich handeln. Aber ob wir Führer haben oder nicht: Ich denke, wir müssen erkennen, dass Männer oft zu tief in ihre Geschlechterrollen sozialisiert sind, um sich überhaupt bewusst zu sein, was sie tun, auch mit dem besten Willen der Welt nicht. Das ist, warum ich glaube, dass Organisationen der Linken explizit organisierte Fraktionssitzungen von Frauen, von LGBTQ-Menschen, von Schwarzen Menschen usw. haben sollten – und diese Fraktionen wirkliche Autorität haben sollten. Sie sollten nicht nur Debattierclubs sein, in die Fragen, die „unbequem“ sind, ausgegliedert werden. Sie sollten Policy machen.

 

 

Laurie Penny: Das bringt uns zurück zum Kern der Frage, der ist: Verlangen wir zu viel? Ist es eine Verschwendung kostbarer Zeit, wenn wir verlangen, dass eine Revolution „perfekt“ sein muss, bevor sie beginnt? Das ist die Frage, die ich immer wieder gestellt gesehen habe, wenn es um mächtige Männer in Bewegungen geht, und um Sexismus oder sexualisierte Gewalt oder Fragen der gerechten Repräsentation, oft, aber nicht immer, gestellt durch diejenigen, die Gewalt zu verteidigen oder zu entschuldigen suchten. Wenn jemand eine mitreißende Figur ist – oder ein wichtiger Aktivist, wie Julian Assange, sollten wir dann übersehen, wie sie sich gegenüber Frauen verhalten? […]
Ich glaube, dass Sozialismus ohne Feminismus kein Sozialismus ist, den es zu haben wert ist. Zweifelsohne müssen wir eine Strategie entwerfen, wie wir beides haben können, und zwar verdammt schnell.

 

 

Richard Seymour: Wie ich es sehe, wurde das Problem am deutlichsten gestellt von Occupy. Sie appellierten an die 99 Prozent, die überwiegende Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung gegen die Reichen 1 Prozent. Und ich sympathisiere damit: Man kann nicht hoffen, zu gewinnen, wenn man nicht eine überwältigende Mehrheit mitbringt, weil die Party of Order andernfalls zu mächtig ist. Und ich stimme zu, dass es Klasse ist, was die Mehrheit verbindet.
Aber wie einigt man Menschen, die nicht nur durch Nationalität, Region und Vorurteile geteilt sind, sondern durch echte strukturelle Formen der Unterdrückung wie Sexismus? Die alte (weiße, bürgerlich männliche) Antwort ist, zu sagen, „rede nicht über ’spaltende‘ Themen, ignoriere sie für jetzt, sie sind sekundär“. Sie sind lediglich ‚Identitätspolitik‘. Sie sind irgendwie nicht so wesentlich wie Klasse. Judith Butler hat den Finger auf das gelegt, was daran falsch war – was ist weniger wesentlich daran, wenn Frauen weniger arbeiten wollen, bessere Bezahlung, nicht Opfer von Gewalt werden, nicht gedemütigt werden? Und warum sollte Klasse ‚konkurrieren‘ mit Race oder Geschlecht? Sind sie nicht zusammenhängend? Austerität ist eine Klassen-Offensive, aber ist es Zufall, dass Sozialabbau unverhältnismäßig stark Frauen und schwarze Menschen betrifft? Und wie dem auch sei, es wird nicht funktionieren: Wenn man versucht, eine „Einheit“ aufzuzwingen, die davon abhängt, dass Menschen ihren Mund halten, werden die einfach aussteigen. Gramsci hatte Recht: Man kann breite Allianzen bilden, aber nur, wenn man wirklich die Interessen aller, die Teil dieser Allianz sind, berücksichtigt.
Also brauchen wir statt einer Einheit, in der die Unterdrückten taktvolle Stille bewahren, eine komplexe Einheit, eine Einheit-im-Unterschied. Dies ist, was ‚Intersektionalität‘ für mich bedeutet. Sie ist die einzige Strategie, die funktionieren wird. Wir verlangen nicht zu viel, wir verlangen das absolute Minimum, das für den Erfolg notwendig ist.

 

 

 
 

 

 

 

 

 

 

 

Laurie Penny: Ich habe im vergangenen Jahr zwei Vorträge besucht, wo mir von älteren weißen Männern in linken akademischen Kreisen erklärt wurde, dass Feminismus entweder irrelevant für den Klassenkampf wäre oder aktiv sein Feind. Mark Crispin Millar erklärte, dass ‚Identitätspolitik‘ von der CIA erfunden wurde, als Möglichkeit, die amerikanische Linke zu spalten und zu schwächen, im Wege der Abschottung jeder weiteren Diskussion.
Die Sache ist die, dass auf einer Ebene diese Verschwörungstheoretiker völlig Recht haben – Fragen von Race, Geschlecht und Sexualität sind sehr effektiv bei der Herstellung von Spaltungen innerhalb radikalen und progressiven Bewegungen, großen und kleinen. Aber das ist nicht die Schuld von Feminismus oder Queer-Politik oder Anti-Rassismus-Organisation. Diese Teilungen passieren nicht weil die klagenden Frauen, Queers und People of Color Streit anfangen um den Lauf der Geschichte aufzuhalten – in Wirklichkeit haben wir sogar mehr zu gewinnen durch revolutionären Wandel. Die Teilungen passieren, weil wir nicht bereit sind, den Mund zu halten und sitzen zu bleiben, während Menschen in Positionen ungeprüften Privilegs versuchen, eine neue Welt zu schaffen, die zu sehr wie die alte aussieht.
Die Linke, weil sie gerne aus einer Position moralischer Überlegenheit kämpft, ist besonders schlecht darin, ihren eigenen Bullshit zu konfrontieren. Diese Tendenz lässt sie anfällig werden für die rührselige moderne Illusion, dass alle Vergewaltiger böse, unmenschliche Monster sind, und somit niemand, den man persönlich kennt, mit dem man arbeitet oder den man bewundert, so ein Täter sein kann. Tatsächlich haben sich revolutionäre Stimmung und Rape Culture noch nie gegenseitig ausgeschlossen. Die Socialist Worker’s Party und Wikileaks sind bei weitem nicht die einzigen Organisationen, die zerfallen, weil es keinen Prozess der Verantwortlichkeit [Accountability] gibt, und keinen Rahmen, durch die sie verstehen, dass ein Mensch auf der einen Seite respektiert werden und nützliche Arbeit leisten kann, und auf der anderen Seite ein Unterdrücker sein.
Das bringt uns zurück zu der unmittelbareren Frage: Wenn wir Intersektionalität, die einige Leute lieber grundlegende Gleichheit nennen, als ein Grundprinzip akzeptieren, einen Wandel zu erreichen; wenn wir akzeptieren, dass Sexismus, Misogynie, Homophobie und Rassismus von keiner Repräsentationsfigur übersehen werden darf, was fangen wird dann mit den Brocialisten an? […] Ist Ausgrenzung die einzige Option, oder können wir uns alternative Verfahren für Gerechtigkeit und Verantwortlichkeit [Accountability] vorstellen?
Richard Seymour: Ich nehme an, was wir mit den Manarchisten und Brocialisten machen, hängt vor allem von einer entscheidenden Überlegung ab: Sicherheit und Wohlergehen der anderen in der Bewegung oder Organisation. Ich glaube, dass sich Menschen ändern können, und ich bin sehr interessiert an Ideen der ‚transformativen Gerechtigkeit‘, an denen Feministinnen gearbeitet und versucht haben, sie umzusetzen. Aber das würde nicht immer angebracht sein. Einige Männer sind in der Tat nicht bereit, ihr Verhalten zu ändern, und wir haben begrenzte Ressourcen. Ich denke, wenn sie gefährlich sind, müssen sie ausgegrenzt werden und, diejenigen, die von ihnen belästigt wurden, in allem, was sie unternehmen wollen, unterstützt werden, einschließlich zur Polizei gehen, wenn sie das wollen.

 

 

 

 

Aber für die meisten Brocialisten geht es, glaube ich, tatsächlich darum, sie zu der Einsicht zu bringen, dass Sexismus nicht jemand anderes Problem ist. Das Patriarchat und das gesamte System der Geschlechterreglementierung, das dazu gehört, ist unglaublich gewalttätig sowohl Frauen als auch Männern gegenüber. Natürlich leiden Männer nicht annähernd in dem gleichen Umfang darunter, aber es schadet ihnen. Im Extremfall äußert es sich als homophober Mord, der buchstäblichen Auslöschung von jemandem, der nicht den vorgeschriebenen Protokollen von Geschlecht gehorcht. Man hat diese seltsame Sache bei vielen Brocialisten (), die deutlich von den herrschenden Normen der ‚Maskulinität‘ verletzt werden, und die sich zu einem gewissen Maß widersetzen. Und doch identifizieren sie sich im Grunde immer noch mit dem Patriarchat auf einer bestimmten Ebene, genießen immer noch seine Brutalität – die Vergewaltigungswitze zum Beispiel. Sie zu überzeugen, dass dieses System ihnen letztlich schadet, ihren Beziehungen mit den Menschen um sie herum schadet, und auch verhindert, dass sie ihre höheren Ziele verwirklichen -, dass das und nicht der Feminismus, der Feind ist – ist lebenswichtig.
Der globale Aufstand der Frauen der letzten Jahre ist eine echte Chance dieses Argument aufzubrechen. Der Backlash unter einigen linken Männern ist real, aber er hat auch dazu geführt, dass andere hinterfragen, überdenken, und vielleicht sogar ihren eigenen Bullshit bemerken.
Laurie Penny: Danke für deine Zeit, Richard. Ich glaube auch an Vergebung, und wenn die feministische Konterrevolution kommt, wirst du verschont bleiben. Ich möchte hinzufügen, dass gerade jetzt Frauen und Mädchen auf der ganzen Welt sicher nicht geduldig auf Befreiung warten, bis der Klassenkampf abgeschlossen ist, der weitestgehend zu Männern und über Männer spricht. Sie wollen Veränderung jetzt, und sie hören nicht auf, sie einzufordern, und ich glaube, dass sie – dass wir – gewinnen werden. Und Brocialisten überall sollten besser zuhören, oder sie werden zurückgelassen.

http://sanczny.blogsport.eu/2013/12/18/ein-diskurs-ueber-brocialisten-und-manarchisten/

Näheres zur Transformativen Gerechtigkeit hier:  http://digitalresist.blogspot.de/2015/07/alternativen-zu-strafe-und-knast.html


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