Geschichte des Anarchismus in Deutschland – 3.Abschnitt

„Sie schnitten sich dornige Zweige ab und schlugen.
Perverse Genüsse. Sie brachten die Alten mit Tritten in Trab.
Dazwischen knallten die Schüsse
Sie trieben uns schlimmer als räudiges Vieh,
sie johlten und schlugen mit Stecken.
Die Alten sanken wimmernd ins Knie.
Es war der Tag aller Schrecken.“
(Karl Snog, Buchenwaldhäftling)
Anfang Mai 1945 verteilte der Hamburger Anarchist Otto Reimers ein erstes Flugblatt gegen die Verbrechen der Nazis, in dem Rache für Buchenwald und andere KZ`s gefordert wurde.
Vielleicht würden jetzt in den letzten Stunden der Nazi-Herrschaft endlich die Parteiführer gehängt und die Kasernen von der Bevölkerung gestürmt.
Er setzte mit seinen wenigen übrig gebliebenen Genossen in den nachfolgenden Rundschreiben auf eine einheitliche revolutionäre Bewegung aus Kommunisten, Sozialdemokraten und Anarchist*innen. In dieser Einheitsfront schien der Anarchismus wohl aufgegeben, nach Ansicht von Reimers allerdings nur taktisch. In den „Mahnrufen“ wollten sie eine Einheit für die Gestaltung der demokratischen Republik, der Wirtschaft und vor allem des Bildungsbereiches als eine „geistige“ Revolution – und dies sollte mit Unterstützung einer „geistigen Elite“ erreicht werden.
Diese Einheit fand jedoch nicht statt, die Hamburger Anarchisten zogen sich daraufhin wieder in ihre Ideen zurück.
 
Das zeigt die Problematik der deutschen Anarchist*innen, was sie angesichts der gewaltigen Trümmer, des in Besatzungszonen aufgeteilten Landes und des dadurch entstandenen Machtvakuums eines nicht mehr vorhandenen Staates nun tun sollten. Jede Gruppe war in diesen Tagen und Monaten auf sich selbst gestellt.
Diese Situation brachte die Bevölkerung in ein Vakuum möglicher Selbstorganisation (und Selbstverwaltung).
„Denn wovon lebten die Leute? Von Restbeständen, die sie sich aus verlassenen oder aufgebrochenen Läden herausholten. sie suchten in Kellern ausgebrannter Ruinen nach Nahrung, die gefallene, geflohene, verbrannte Bewohner*innen vielleicht zurückgelassen hatten, alte Heereslager wurden gestürmt und geplündert, der Ungeschickte hungert, viele Ungeschickten verhungern, kein Treibstoff für Busse. Wasser? Lange Schlangen stehen an den Pferdepumpen, die an den Bürgersteigen der Strasse durch Glück und Zufall intakt geblieben sind, topfweise, eimerweise schleppen die Leute oft nach stundenlangem Warten das so kostbare Nass weg...“
dies nutzte Rudolf Rocker, um aus den USA publizistisch die weiteren Geschicke des deutschen Anarchismus maßgeblich mit zu gestalten.
Aus der alten FAUD sind auch die letzten Ansätze verschwunden… “ (Rocker,Zur Betrachtung der Lage in Deutschland)
Rocker sieht in dem Land, das nun keine zentrale Macht mehr hat, eine Chance , eine neue Geschichte zu beginnen, um dem Erwachen eines neuen zentralen Staates entgegen treten zu können. er plädiert für kommunale Selbstverwaltung, die beweisen sollte, das es keiner übergeordneten Regierung bedarf und er sieht dies im Sinne einer eher europäischen, dann weltweit agierenden Föderation.
Unterstützung erhielt er dabei von Otto Reimers und Helmut Rüdiger, der vor allem für einen „Bund freiheitlicher Sozialisten“ plädierte.
Aber es gab auch kritische Stimmen und Spottverse, die eine kommunale Vertretung ablehnten.

„Anarchisten brauchen keine Wahlen, auch keine auf Gemeindeebene .Anarchisten brauchen auch keine Führer, welche Parolen ersinnen.“
„Zwar im Herzen, alle Mal/ sind wir ganz die Alten: hundert Prozent radikal, doch – das Leben ist real, da heißt es halt mithalten…“

Eine gezielte Kritik gegen Rocker auch in diesen Sätzen:
„Die vermeintlichen überschlauen Führer behindern die …Energieentfaltung der Massen bei der Befreiung von jedweder Knechtschaft. Solche Kurpfuscher können Taten nicht ersetzen. Eben sowenig kann der Föderalismus an die Stelle des Anarchismus treten.Es gibt nach wie vor ein Allheilmittel, nämlich die herrschafts-und eigentumslose Ordnung! Durch Mitarbeit in Gemeinden, Genossenschaften und Gewerkschaften ist sie gewiss nicht zu erreichen. Denn das sind Sumpfgebilde privat-oder kollektivkapitalistischer Herrschaft.“
So sprach und schrieb Willi Huppertz, Anarchokommunist im Denken und Individualanarchist im Handeln, der 1948 die Zeitschrift „Befreiung“ herausgab. Sie wird zu einer interessanten und lange erscheinenden Publikation des deutschsprachigen Anarchismus. 1978 erscheint die letzte Ausgabe.
 Dessen allem ungeachtet gründete sich 1947 in Darmstadt die „Föderation freiheitlicher Sozialisten (FFS)“.
In dem Programmentwurf wird zwar der Gedanke der Gemeindewahlen als Personenwahlrecht aufgegeben, aber in dem sie allen deutschen Anarchist*innen die aktive Mitarbeit in den Gemeinden und Gewerkschaften empfahlen und damit auf den Syndikalismus verzichteten, sorgten sie für weitere Spannungen.
Sozusagen als Ausgleich beantragte die Föderation die Aufnahme in die IAA.
Als Mitteilungsblatt der Föderation erschien im Dezember 1947 „Die Internationale“, herausgegeben von Gretel und Alfred Leinau, die zu den emsigsten Gründer*innen der Föderation gehörten. Zwei Jahre später erschien mit „Freie Gesellschaft“ eine durchaus respektable Monatsschrift, 34 Seiten DIN-A5 im Buchdruck und mit rotem Einband, hier von Alfred Leinau redaktionell betreut. Neben Grundsatzartikeln und Kommentaren zu politischen und kulturellen Ereignissen wurde auch auf die Publikationen der „Gilde freiheitlicher Bücherfreunde“ hingewiesen.
Schon zu Zeiten der „Weimarer Republik“ hatten Syndikalisten eine anarchistische Buchgemeinschaft gegründet, die „Gilde freiheitlicher Bücherfreunde“ . auch eigene Bücher wurden veröffentlicht, eigene Leseclubs sorgten für den notwendigen Absatz. Einige Mitglieder bauten nun in Bremen diese Gilde wieder auf und mit der Konstitutionierung der „FFS“ erschien nun auch wieder anarchistische Literatur.
Der von Rocker gefürchtete Zentralstaat entstand allerdings zwischendurch an anderer Stelle. Schon im Sommer 1945 wurden in der damaligen sogenannten „Sowjetischen Besatzungszone“ die ersten Länder mit eigenen Länderverwaltungen gegründet, unter Kontrolle des sowjetischen Sicherheitsdienstes und der SED. Dort wurde von Anfang an rigoros und brutal gegen Anarchist`*innen gekämpft, wie z.B. bei Willy Jelinek exemplarisch durchgeführt wurde

 („Himmelsleiter“ im KZ Bautzen)
Willy Jelinek war in 20er Jahren Mitarbeiter der in Zwickau erschienenen Zeitschrift „Proletarischer Zeitgeist“ als Organ der „Allgemeinen Arbeiterunion“, die sich mehr und mehr den anarchistischen Ideen genähert hatte. Nur wenige überlebten das Naziregime. Jelinek, der die Aboliste versteckt hatte, nahm nun darüber wieder Kontakt zu den Genoss*innen auf. Im sogenannten „Zwickauer Kreis“ wandte er sich scharf gegen die Bestrebungen der KPD zur Einheitspartei mit der SPD und noch schärfer gegen die Beteiligung der Anarchisten an einer Einheitsfront.
Er stand so im harten Diskurs mit dem anfangs erwähnten Otto Reimers. Spitzel wurden auf den Kreis angesetzt. Jelinek übertrug sicherheitshalber Abolisten und Publikationen auf den ebenfalls schon erwähnten Willy Huppertz.
Im November 1948 wurde Jelinek von der russischen Polizei festgenommen und zuerst ins KZ Sachsenhausen gebracht, was von den Kommunisten nun ihrerseits für ihre Gefangenen genutzt wurde. Dann wurde er nach Bautzen verlegt, wo erbärmliche Zustände herrschten. Alle Gefangenen hungerten, viele starben an Unterernährung und TBC.
Unter bis heute nicht geklärten Umständen starb Willy Jelinek am 24.März 1952 im KZ Bautzen.
Für die Anarchist*innen in Deutschland prägten die nächsten Jahre die vielfältigen Versuche, die verschiedenen Gruppen zusammen zu bekommen., ja. eine Zeitlang wurde von einer deutschen, ja, deutschsprachigen Föderation geträumt, die alle Gruppen vereinen sollte. Doch bei der bestehende Föderation, die FFS, war irgendwann mal die Luft raus. Der Pragmatismus ihrer Politik und das Nationale ihres Denkens schuf immer wieder Spannung innerhalb der Bewegung.
Die Etablierung zweier deutscher Staaten – so verschieden sie auch sein mochten – ließ den Spagat zwischen anarchistischem Profil und Mitarbeit in den Gewerkschaften und Gemeinden nicht zu.
Die Zahl der Mitarbeiter*innen stagnierte, ihr Einfluss war marginal.
Zwischendurch gab es kleine Auffrischungen, z .B. durch die antimilitaristische „Bewegung gegen den Atomtod“, aber die immer wieder auftretenden Richtungskämpfe erwiesen sich letztendlich als destruktiv.
Der Tod von Milly Witkopp und wenige Jahre später von Rudolf Rocker markierten irgendwie das Ende dieser Generation und den Schlusspunkt einer bewegten Ära des Anarchismus in Deutschland. Die verbliebenen ehemaligen Gruppen der Föderation lösten sich in den 60er Jahren auf. Die letzten Anarchist*innen waren müde.

In der „Befreiung“ vom Dezember 1966: „““ Warum kommen wir nicht weiter mit der Verwirklichung unserer Idee? Warum befreien sich die unterdrückten und versklavten Menschen nicht von ihrem Joch? Untertanengeist, Unentschlossenheit, Herrschaftsglaube, Denkfaulheit und Feigheit — das sind die Hauptursachen, wenn die versklavten Massen nicht aus ihrem Dasein herauskommen.„““

Doch schon wenige Monate vorher läuteten die Glocken der Westkirche in Amsterdam unter Rauchbomben eine neue Zeit ein. Eine Zeit, die nicht nur Deutschland, sondern halb Europa erfassen sollte ……… !

Die Entwicklung dieser libertären Bewegung (ab 1967) ist ausreichend dokumentiert, wenn auch je nach Rezensent*in unterschiedlich bewertet – ein interessanter ausführlicher Artikel findet sich be
„DadAWeb“  http://www.dadaweb.de/wiki/Neoanarchismus

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ENDE und ANFANG —- aktuelle Entwicklungen entnehmt der jeweiligen Praxis — oder nutzt die entsprechenden Medien, wie z.B. auch diesen Blog hier …..!!

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